Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen
Kardinal-Irrtum: § 315 BGB zur Wahrung eines Äquivalenzverhältnisses?
RR-E-ft:
Die gesetzliche Regelung des § 315 BGB hat zum Gegenstand, dass ein Vertragsteil die geschuldete Gegenleistung nach Vertragsabschluss zu bestimmen hat.
Der entsprechend zugleich berechtigte wie verpflichtete Vertragsteil ist verpflichtet, unter Berücksichtigung der - naturgemäß gegenläufigen- objektiven wirtschaftlichen Interessen beider Vertragsteile und umfassender Würdigung des Vertragszwecks die Gegenleistung und damit erst das Äquivalenzverhältnis selbst zu bestimmen.
Gesetzlich versorgungspflichtige Energieversorgungsunternehmen haben bei einer Belieferung im Rahmen einer gesetzlichen Versorgungspflicht dabei auch ihre Verpflichtung aus §§ 2, 1 EnWG zu einer möglichst preisgünstigen, effizienten leitungsgebundenen Versorgung der Allgemeinheit zu verbraucherfreundlichen Bedingungen zu beachten (vgl. schon BGH, Urt. v. 02.10.1991 - VIII ZR 240/90 = NJW-RR 1992, 183, 186).
Voraussetzung des einseitigen Leistungsbestimmungsrechts ist ein besthender Gestaltungsspielraum, wobei die Ausübung des Ermessens innerhalb dieses bestehenden Gestaltungsspielraums im Zweifel der Billigkeit zu entsprechen hat.
Geht es hingegen um die Wahrung eines bereits bestehenden Äquivalenzverhältnisses (welches auf erfolgter vertraglicher Einigung über Leistung und Gegenleistung beruht), so ist ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht hierfür ungeeignet:
So müssen zur Wahrung eines bestehenden Äquivalenzverhältnisses nachträgliche Kostensenkungen zwingend unverzüglich und vollständig, mithin ohne ein Ermessen an den Vertragspartner weitergegeben werden, weil sich andernfalls nachträglich der Gewinnanteil am vereinbarten Entgelt erhöht (vgl. BGH, Urt. v. 21.04.2009 - XI ZR 78/08 Tz. 35).
Die Wahrung eines bereits bestehenden, vereinbarten Äquivalenzverhältnisses lässt also gerade kein Ermessen zu.
Deshalb erscheint ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB ungeeignet für die Wahrung eines bereits bestehenden Äquivalenzverhältnisses.
Wurde ein einseitiges Leistungsbetimmungsrecht hinsichtlich der Entgelthöhe bei Vertragsabschluss wirksam vereinbart, unterliegt das Entgelt von Anfang an vollständig der gerichtlichen Billigkeitskontrolle (vgl. BGH Urt. v. 13.06.2007 - VIII ZR 36/06 Tz. 32 und BGH, Urt. v. 19.11.2008 - VIII ZR 138/07 Tz. 16).
\"Nicht anders kann es liegen\", wenn einem Vertragsteil das einseitige Leistungsbestimmungsrecht hinsichtlich der Entgelthöhe durch Gesetz zugewiesen ist (vgl. BGH, Urt. v. 04.03.2008 - KZR 29/06 Tz. 10).
Auch dabei kann aus der gesetzlichen Regelung eine Verpflichtung bestehen, die Entgelte nachträglich unter die bei Vertragsabschluss bestehende (bzw. bekannte) Entgelthöhe abzusenken (vgl. BGH, Urt. v. 29.04.2008 - KZR 2/07 Tz. 26). Dies steht einem \"vereinbarten Preissockel\" entgegen.
Die künstliche Aufspaltung in einen Anfangspreis und einen einseitig bestimmten Folgepreis führt zu willkürlichen Zufallsergebnissen (vgl. BGH, Urt. v. 18.10.2005 - KZR 36/04 Tz. 9ff.). Eine Billigkeitskontrolle des Gesamtpreises ist auch dann geboten, wenn der Leistungserbringer in seinem Leistungsbereich - insbesondere im Bereich der Daseinsvorsorge - eine marktbeherrschende Stellung hat und seine Preise nicht durch wirksamen Wettbewerb kontrolliert werden. Der Billigkeitskontrolle steht es dabei nicht entgegen, wenn der im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geltende Preis bekannt war und nicht beanstandet wurde (vgl. BGH, Urt. v. 04.03.2008 - KZR 29/06 Tz. 24 ff.) Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Preis im wirksamen Wettbewerb gebildet wurde, liegt beim Versorgungsunternehmen (vgl. BGH, B. v. 14.03.2007 - VIII ZR 36/06).
Black:
--- Zitat ---Original von RR-E-ft
Wurde ein einseitiges Leistungsbetimmungsrecht hinsichtlich der Entgelthöhe bei Vertragsabschluss wirksam vereinbart, unterliegt das Entgelt von Anfang an vollständig der gerichtlichen Billigkeitskontrolle (vgl. BGH Urt. v. 13.06.2007 - VIII ZR 36/06 Tz. 32 und BGH, Urt. v. 19.11.2008 - VIII ZR 138/07 Tz. 16).
Die künstliche Aufspaltung in einen Anfangspreis und einen einseitig bestimmten Folgepreis führt zu willkürlichen Zufallsergebnissen (vgl. BGH, Urt. v. 18.10.2005 - KZR 36/04 Tz. 9ff.).
--- Ende Zitat ---
Absolut. Einhellige Meinung aller Gerichte. Keine nennenswerten Gegenansichten (daher auch nicht erwähnt). Erlebt man nahezu tagtäglich, das Gerichte stets den Gesamtpreis im Rahmen des § 315 BGB kontrollieren und Widersprüchler massenweise Geld sparen.
RR-E-ft:
@Black
Ich habe diesen Beitrag zur Diskussion gestellt, der meine Meinung darstellt.
Dass die wirksame vertragliche Vereinbarung eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts gem. § 315 Abs. 1 BGB bei Vertragsabschluss die Überprüfbarkeit des Gesamtpreises zur Folge ha, ist unumstritten (vgl. nur BGH, Urt. v. 13.06.2007 Tz. 35 und Urt. v. 19.11.2008 - VIII ZR 138/07 Tz. 16). Dabei hat die zur Leistungsbestimmung berechtigte und verpflichtete Partei die Gegenleistung und somit erst das Äquivalenzverhältnis zu bestimmen.
Der VIII. Zivilsenat des BGH meint hingegen bekanntermaßen, das gesetzliche Leistungsbestimmungsrecht gem. § 4 AVBGasV sei (nur) dazu bestimmt, ein vertragliches Äquivalenzverhältnis zu wahren.
Das halte ich aus genannten Gründen für fragwürdig.
Einige mit mir meinen, dass sich aus § 4 AVBGasV ergibt, dass der Versorger das jeweilige Entgelt nach Vertragsabschluss bestimmnen soll. Schließlich ist aus der Entscheidung BGH, Urt. v. 29.04.2008 - KZR 2/07 Tz. 26 deutlich herauszulesen, dass der Allgemeine Gastarif selbst gesetzlich an den Maßstab der Billigkeit gebunden sei.
Schauen Sie selbst:
--- Zitat ---Zwar ergibt sich auch aus dem Tarifbestimmungs- und -änderungsrecht entgegen der Auffassung der Kläger ein (gesetzliches) Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 BGB (BGHZ 172, 315 Tz. 17). Dass die Norm keine Vorgaben zu Zeitpunkt und Inhalt von Preisänderungen nennt, ist jedoch eine unmittelbare Folge des Umstandes, dass Tarifkunden zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen beliefert werden und beliefert werden müssen. Aus der gesetzlichen Bindung des allgemeinen Tarifs an den Maßstab der Billigkeit (BGHZ 172, 315 Tz. 16 f.) ergibt sich nicht nur die Rechtspflicht des Versorgers, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen. Der Versorger ist vielmehr auch verpflichtet, die jeweiligen Zeitpunkte einer Tarifänderung so zu wählen, dass Kostensenkungen nicht nach für den Kunden ungünstigeren Maßstäben Rechnung getragen wird als Kostenerhöhungen, so dass Kostensenkungen mindestens in gleichem Umfang preiswirksam werden müssen wie Kostenerhöhungen. Die gesetzliche Regelung umfasst daher neben dem Recht des Versorgers zur Preisanpassung auch die Pflicht hierzu, wenn die Anpassung dem Kunden günstig ist,
--- Ende Zitat ---
Das gesetzliche Leistungsbestimmungsrecht enthalte nicht nur ein Tarifänderungsrecht, sondern auch ein Tarifbestimmungsrecht, wobei wir wissen, dass ein Leistungsbestimmungsrecht immer auch zugleich mit einer entsprechenden Verpflichtung zur Leistungsbestimmung verbunden ist (vgl. Palandt, BGB, § 315 Rn. 12)
Nach der aktuellen Entscheidung BGH, Urt. v. 21.04.2009 - 78/08 Tz. 35 soll ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gem. § 315 BGB untauglich sein, ein vereinbartes Äquivalenzverhältnis zu wahren. Die dafür genannte Begründung halte ich für überzeugend.
Gegenstand der gesetzlichen Regelung des § 315 BGB ist es nicht, ein Äquivalenzverhältnis zu wahren, sondern ein solches erst zu bestimmen.
Black:
Ich denke Sie zäumen das Pferd von hinten auf. Sie betrachten den § 315 BGB und schlussfolgern, dass er nicht zur Wahrung des Äquivalenzverhältnisses dienen kann.
Mag sein oder auch nicht. Fakt ist aber, dass die Preisanpassungen in Energielieferverträgen selbst diesem Zweck dienen, da aufgrund von Kostenveränderungen und der Langfristigkeit (teilweise für das EVU sogar Unkündbarkeit) der Verträge eine Veränderung der Preise möglich sein muss um die Äquivalenz zu wahren.
Wenn Sie also vertreten, dass § 315 BGB nicht der Wahrung des Äquivalenzinteresses dienen kann, die Preisanpassung nach § 5 GVV diesem Interesse aber sehr wohl dient, dann würde das für die Nichtanwendbarkeit des § 315 BGB sprechen und nicht für die Unzulässigkeit von Anpassungen zur Verhältniswahrung.
Ich halte es daher für verfehlt Inhalte des Preisanpassungsrechts im Energierecht - abgesehen von der Aussage, dass auch diese Anpassungen \"billig\" sein müssen aus § 315 BGB herzuleiten, denn das Energierecht hatte der Gesetzgeber bei Schaffung des § 315 BGB nicht im Sinn.
RR-E-ft:
@Black
Das (gesetzliche) einseitige Leistungsbestimmungsrecht gegenüber Tarifkunden und grundversorgte Kunden ist unzweifelhaft. Dass der Gesetzgeber die Anwendung des § 315 BGB auf Grundversorgungsverträge im Sinn hatte, ergibt sich unzweifelhaft aus § 17 Abs. 1 Satz 3 GVV, wo die Norm explizit genannt wird.
Fraglich ist nur, ob es tatsächlich anders liegen kann, je nachdem, ob das Leistungsbetimmungsrecht gem. § 315 Abs. 1 BGB vertraglich vereinbart oder sich aus einem Gesetz ergibt, wie es der VIII.Zivilsenat des BGH meint, der das eine gegen das andere abzugrenzen sucht (vgl. BGH, Urt. v. 13.06.2007 - VIII ZR 36/06 Tz. 32 und Urt. v. 19.11.2008 - VIII ZR 137/06 Tz. 16).
Die Regelung des § 4 AVBGasV war gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 AVBGasV schließlich Vertragsbestandteil, so dass sich auch vertren lässt, dass bei Vertragsabschluss kein feststehender Preis vereinbart wurde, sondern die Zahlung des jeweiligen (vom Versorger einseitig zu bestimmenden) Allgemeinen Tarifpreises. Auch § 5 GVV ist gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 Vertragsbestandteil des Grundversorgungsvertrages, das Leistungsbestimmungsrecht mithin zugleich vertragsgegenständlich.
Dafür spricht m.E. auch BGH, Urt. v. 03.04.2008 - KZR 29/06 Tz. 20:
--- Zitat ---Ebenso wie der Gesetzgeber den Energieversorgern, die nach § 10 EnWG 1998 allgemeine, d.h. für jedermann geltende Tarife aufzustellen haben, hierdurch ein gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt hat (BGH NJW 2007, 2540 Tz. 17), ist damit den Netzbetreibern, die allein über die für die Bestimmung des zulässigen Preises erforderlichen tatsächlichen Kenntnisse verfügen, das Recht gegeben worden, unter Beachtung der Vorgaben des Energiewirtschaftsgesetzes und gegebenenfalls der durch Rechtsverordnung konkretisierten Kriterien allgemeine Entgelte für die Netznutzung zu bilden.
--- Ende Zitat ---
Dafür spricht m.E. auch BGH, Urt. v. 18.10.2005 - KZR 36/04 Tz. 10 f.
--- Zitat ---Das Recht des Netzbetreibers, künftige Netznutzungsentgelte ohne Mitwirkung des Netznutzers festzusetzen, kann nicht anders behandelt werden. Aber auch das zum Zeitpunkt des Vertragschlusses von dem Netzbetreiber geforderte Entgelt ist regelmäßig ein nach dem Willen der Vertragsparteien einseitig bestimmtes Entgelt, das der Netzbetreiber zu bestimmten Zeitpunkten ermittelt und das - schon zur Vermeidung einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung - für eine bestimmte Zeitdauer sämtlichen Vertragsbeziehungen mit gleichen Nutzungsprofilen unabhängig davon zugrunde liegen soll, wann der Vertrag geschlossen wird. Auch dann, wenn das Entgelt betragsmäßig bereits feststellbar ist, wird - wie im Streitfall der Verweis auf die \"jeweils geltende Anlage 3\" verdeutlicht - nicht dieser Betrag als Preis vereinbart. Der Betrag gibt vielmehr lediglich das für einen bestimmten Zeitpunkt ermittelte Ergebnis des gleichen Preisbestimmungsverfahrens wieder, das dem Netzbetreiber auch für die Zukunft zustehen soll, an dem der Netznutzer nicht teilnimmt, dessen konkrete preisbestimmende Faktoren ihm nicht bekannt sind und dessen Ergebnis er weder nachvollziehen noch beeinflussen kann. Es ist daher nicht weniger einseitig bestimmt als die künftige Höhe des Entgelts. Es wäre eine künstliche Aufspaltung der äußerlich und inhaltlich einheitlichen Preisvereinbarung und führte zu Zufallsergebnissen, wollte man einen vereinbarten Anfangspreis von (vom Zeitpunkt der ersten ausdrücklich oder stillschweigend vorgesehenen Neuberechnung an maßgeblichen) einseitig bestimmten Folgepreisen unterscheiden.
Zufolge des ihr eingeräumten Leistungsbestimmungsrechts ist die Beklagte verpflichtet, die Entgeltbestimmung nach billigem Ermessen zu treffen. Zwar tritt diese Rechtsfolge nach § 315 Abs. 1 BGB nur im Zweifel ein. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich jedoch nichts dafür, dass die Parteien etwas anderes gewollt hätten.
--- Ende Zitat ---
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