BGH VIII ZR 225/07
AG Tiergarten - Urteil vom 12. Dezember 2006 – 6 C 402/06
LG Berlin - Urteil vom 28. Juni 2007 – 51 S 16/07
8. Zivilsenat: Ball, Frellesen, Hermanns, Milger, Hessel
Bauer: Prof. Nirk, Dr. Schott
GASAG: Prof. Krämer
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Das Verfahren VIII ZR 56/08 (VZ Bremen gegen Gasunion) habe ich leider verpasst.
Die Verhandlung dauerte eine halbe Stunde länger, weil Prof. Krämers Ausführungen lange dauerten.
Dieses ist das erste Verfahren, in dem sich nicht der Kartellsenat sondern der Zivilsenat mit der Unwirksamkeit von Preisanpassungen aufgrund unwirksamer bzw. intransparenter Preisanpassungsklauseln befasst.
Der ebenfalls wieder anwesende Herr Möller erwiderte auf meine Frage, der Zivilsenat werde der Stoßrichtung des Kartellsenats wohl folgen und er könne auch gar nicht anders. Er verstehe nicht, warum jetzt jeder Versorger mit der immer gleichen Fragestellung bis zum BGH streite.
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Vorsitzender Ball:
Die in der Pressemitteilung dargestellten Fakten (siehe
BGH, VIII ZR 225/07 mündliche Verhandlung am 17.06.2009 (GASAG-Aktiv) Tarifkunde oder Sondervertrag?) werden geschildert.
Der Kunde klagt auf Unwirksamkeit der Preiserhöhungen.
Das Berufungsgericht sah eine Berechtigung zur Preiserhöhung als gegeben, da der Kunde ein Tarifkunde sei. Der Senat bezweifelt dies, da laut AGB jeder mit einem der Tarife \"GASAG Aktiv\", ... einen Sondervertrag habe.
Der Senat bezweifelt auch, dass eine ergänzende Vertragsauslegung seitens des Berufungsgerichts zulässig war.
Falls der Kunde ein Normsonderkunde ist, dann hängt die Wirksamkeit der Preisanpassung davon ab, ob die Klausel das Transparenzgebot einhält.
Das Äquivalenzprinzip müsse beachtet werden. Eine nachträgliche Gewinnsteigerung über die Weitergabe von Kostensteigerungen hinaus darf nicht möglich sein.
Analog zur ENSO-Sache gelte: Das Recht zur Preisänderung OHNE die Pflicht zur Preissenkung benachteiligt den Kunden unangemessen.
Falls die Klausel der Inhaltskontrolle nicht standhält, dann stellt sich die Frage, ob dies durch ein Kündigungsrecht des Kunden ausgeglichen werden könnte. Falls der Kunde nach einer Kündigung zumindest vorübergehend noch den höheren Preis zahlen müsste, so wäre dies sicherlich zu verneinen.
Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt nur in Betracht, wenn durch den Wegfall der Klausel den Parteien die Wahrung ihrer Interessen und die Fortführung des Vertrags unzumutbar werden würde. Die Energielieferverträge der GASAG sehen eine Mindestvertragslaufzeit von 12 oder 18 Monaten vor. Ohne wirksame Preisanpassungsklausel wäre der Versorger längstens für diesen Zeitraum an den Lieferpreis gebunden. Es ist fraglich ob dies bereits unzumutbar ist.
Der Senat vermutet, dass die Klausel bereits an der Inhaltskontrolle scheitern wird und es in diesem Prozess auf die Überprüfung der Billigkeit nicht ankommmen wird.
----- 10:40 ---------------------------------------------------------------------------
Dr. Schott:
Zur Frage der Einordnung als Sonder- oder Tarifkunde.
Da der Kunde einen Vertrag mit der GASAG zum Tarif \"GASAG Aktiv\" abgeschlossen hat, ergibt sich aus §1 AGB eindeutig, dass er ein Sonderkunde ist.
Ein Versorger hat auch Vorteile dadurch, dass er Sonderverträge abschliesst. Nicht zuletzt deshalb sind über 90% der GASAG-Kunden Sonderkunden.
Die Preiserhöhung ist unwirksam.
Er zitiert nochmal die Ausführungen des Kartellsenats zu Preisanpassungsklauseln (PAK).
Sie hält der Inhaltskontrolle nicht stand.
Die Verpflichtung zur Preissenkung fehlt. Die Transparenz der PAK fehlt vollkommen. Die Begriffe \"internationale Märkte\", \"Ölpreise\", etc. sind vollkommen unspezifisch und es existiert nicht einmal eine Beschreibung, in welchem Zusammenhang der Gasverkaufspreis mit dem Ölpreis (welchem auch immer) steht.
Die Unwirksamkeit wird auch nicht durch §4 AVB behoben, da keine Regelungslücke besteht. Zudem würde §4 AVB an sich auch einer Inhaltskontrolle nicht stand halten.
Die Unwirksamkeit wird auch nicht durch ein Lösungsrecht des Kunden ausgeglichen, da die Beklagte marktbeherrschend ist. Daher kommt auch keine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht.
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Prof. Krämer:
Er räumt gleich zu Beginn ein, dass er einen schweren Stand hat.
Der §1 AGB steht einer rechtlichen Bewertung, wie Kunden einzuordnen sind, nicht entgegen. Tarifkunde ist, wer Gas entnimmt, ohne vorher einen Vertrag abgeschlossen zu haben. (Anm.: Einen Teil der Ausführungen habe ich wohl nicht mitbekommen.)
Der §4 AVB ist eine ergänzende Bedingung. §4 muss im Kontext von §1 ausgelegt werden. Die \"vorrangige\" Geltung der AGB heisst nicht etwa, dass die AVB nicht gelten würden, sondern dass sie ergänzend gelten.
Die Berechtigung zur Preisanpassung ist ein Recht zur Anpassung ohne die ausdrückliche Pflicht zur Preisanpassung. Die Ausgestaltung dieses Rechts unterliegt den ergänzenden Bestimmungen. Daher ist eine reine Willkür nicht möglich.
Zum Äquivalenzproblem: §2.2 enthält eine vorrangige Regelung.
§3 AGB schließen Erhöhungen und Senkungen ein. Daraus ist die Pflicht zur Wahrung des Äquivalenzoprinzips herauszulesen.
Zum Transparenzproblem: Die Begriffe wie \"Märkte\" oder \"Ölpreis\" sind doch in allen Verträgen undifferenziert und sie können auch nicht konkreter sein. Das ist nicht Aufgabe der Transparenzanforderung.
Die Pflicht zur Preissenkung ergibt sich durch Auslegung von §3 im Kontext von §1. §3 ist so zu verstehen, dass die Wahrnehmung des Rechts auch Senkungen enthält.
Er räumt ein, dass man §1 und §3 zwar nach mehrmaligem Lesen und bei verbraucherfeindlichster Auslegung kritisch betrachten kann. Ein Kunde bekommt aber nach einmaligem Lesen einen korrekten Eindrucks des Kerns der Absichten des Unternehmens.
Bei der ergänzenden Vertragsauslegung sind die angelegten Maßstäbe zu streng. Insbesondere der Ausschluss der ergänzenden Vertragsauslegung schon dann, wenn der Versorger sich nach 12 bzw. 18 Monaten aus dem Vertrag lösen kann.
Er sieht zahlreiche §812 Rückforderungsprozesse auf die Gerichte zukommen. Die Unternehmen rechneten schlimmstenfalls mit Rückzahlungen in
zwei bis dreistelliger Millionenhöhe, wie er erfahren hat. Dies zuzulassen wäre wiederum für die Unternehmen unzumutbar und auch ökonomisch unsinnig.
Eine ergänzende Vertragsauslegung sollte zu dem Ergebnis führen, dass doch beide Parteien einen Vertrag haben wollten, der die Weitergabe billiger Preisänderungen vorsieht.
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Dr. Schott:
Bei unwirksamen Klauseln nutzt der BGH die ergänzende Vertragsauslegung nur in Ausnahmefällen. Die Gestaltung der Preisanpassungsklauseln liegt in der Verantwortung der Versorger. Diese haben bis heute eine große Vielfalt von Klauseln hervorgebracht in dem Versuch, für sich selbst die besten Vorteile zu verschaffen.
Dabei gehen sie doch bewusst das Risiko ein, eine Regelungslücke zu erschaffen.
Die Anforderungen der Transparenz und der Inhaltskontrolle sind doch nichts neues und die Versorger versuchen es trotzdem immer wieder.
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Prof. Krämer:
Zitiert noch eine Urteilsbegründung, wonach die Transparenz nach 307 nicht verletzt ist, wenn Sondervertragskunden nicht schlechter gestellt werden als Tarifkunden.
Ball zu Krämer: Na, da sind wir doch gar nicht so weit auseinander, wenn dies so ist.
Im Laufe des Tages wird über den weiteren Verlauf des Prozesses entschieden. Vermutlich wird ein weiterer Termin für den 15.07.09 angesetzt.
Gruss,
ESG-Rebell.