Beschluss
In dem Rechtsstreit
der Firma
gegen
Frau
hat das Amtsgericht Nordhorn im schriftlichen Verfahren am 11.06.2009 durch den Richter am Amtsgericht Dr. beschlossen:
Das Amtsgericht Nordhorn erklärt sich für sachlich unzuständig und verweist den Rechtsstreit gemäß § 281 ZPO auf den Hilfsantrag der klagenden Partei an das sachlich zuständige Landgericht Osnabrück — Kammer für Handelssachen -.
Gründe:
Das Amtsgericht Nordhorn ist für die vorliegende Klage sachlich nicht zuständig. Der Rechtsstreit ist vielmehr gern. § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG ausschließlich dem Landgericht, und dort der Kammer für Handelssachen, zugewiesen.
Nach § 102 Abs. 1 EnWG sind für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die sich aus dem EnWG ergeben, ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes die Landgerichte ausschließlich zuständig. Dies gilt nach § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG auch dann, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits ganz oder teilweise von einer Entscheidung abhängt, die nach dem EnWG zu treffen ist.
Im vorliegenden Verfahren macht der klagende Versorgungsbetrieb gegen die Beklagte restliche Verbrauchskosten für Gaslieferungen geltend. Die Beklagte bestreitet die Billigkeit der Preisbestimmung und Preisberechnung seit dem 01.01.2005. Die Frage, ob es sich in dieser Fallgestaltung um eine Rechtsstreitigkeit im Sinne von § 102 Abs. 1 EnWG handelt, ist in der Rechtsprechung streitig.
Zum Teil wird vertreten, dass es sich bei einer Zahlungsklage aus einem Gaslieferungsvertrag, bei dem der Kunde den Einwand der Unbilligkeit von Preiserhöhungen erhebt, nicht um eine Streitigkeit nach dem EnWG handelt (LG Ravensburg, Urteil vom 13.03.2008, Az.: 4 0 350/07, zitiert nach Juris). Zur Begründung wird ausgeführt, dass das EnWG lediglich das „Ob\" der Grundversorgungspflicht regele und allenfalls Vorfragen für den Zahlungsanspruch betreffe.
Entgegen einer gelegentlich anzutreffenden Auffassung kann für diese Meinung eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln vorn 24.10.2007 (Az.: 8 W 80/07, zitiert nach Juris) nicht ins Feld geführt werden. Denn Streitgegenstand jener Sache war der Anspruch des Energieversorgers auf Duldung des Zutritts zu den Räumlichkeiten zum Zwecke der Einstellung der Energie- und Wasserversorgung sowie des Ausbaus der Strom-, Gas- und Wasserzähler. Das OLG Köln hat für eine derartige Streitigkeit eine Gerichtszuständigkeit nach § 102 EnWG verneint. Das OLG Köln hat die Frage, ob die Voraussetzungen von §. 102 EnWG bei einem Streit über die Billigkeit des Energiepreises erfüllt sind, ausdrücklich offen gelassen.
Soweit die Klägerin für die vorgenannte Meinung auf Berufungsentscheidungen des Landgerichts Osnabrück abstellt, kann dieser Argumentation nicht gefolgt werden. Die Klägerin legt diese Entscheidungen nicht vor. Dementsprechend kann von hier aus nicht beurteilt werden, ob in diesen Rechtsstreitigkeiten von einer vergleichbaren Sach- und Argumentationslage auszugehen ist, und ob überhaupt eine ausdrückliche Zuständigkeitsrüge erhoben worden ist.
Nach der im Vordringen befindlichen Rechtsauffassung ist bei Zahlungsklagen für Energielieferungen, bei den von den Kunden der Einwand der Unbilligkeit von Preiserhöhungen geltend gemacht wird, die Sonderzuständigkeit von § 102 Abs. 1 EnWG gegeben (LG Heilbronn, Urteil vom 27.03.2009, Az.: 21 0 102/08 KfH, zitiert nach Juris; LG Ingolstadt, Urteil vom 22.01.2008, Az.: 1 HKO 924/06, zitiert nach Juris; LG Köln, Urteil vom 11.01.2007, Az.: 84 0 106/06, zitiert nach Juris; AG Erdingen, Urteil vom 08.01.2009, Az.: 3 C 792/08, BI. 90 bis 92 d.A.; in diesem Sinne auch: LG Mönchengladbach, Urteil vom 10.11.2005, Az.: 7 0 116/05, zitiert nach Juris). Diese Rechtsauffassung kann in Anbetracht der Anzahl und der Aktualität der Entscheidungen keineswegs als Mindermeinung angesehen werden. Nach den vorgenannten Gerichtsentscheidungen lassen sich Rechtsstreitigkeiten über die Billigkeit von Energiepreiserhöhungen ohne weiteres unter § 102 EnWG subsumieren.
Das Gericht schließt sich der letztgenannten Auffassung unter Hinweis auf die überzeugenden Ausführungen des Amtsgerichts Erdingen in seinem Urteil an. Danach ist auch im vorliegenden Fall von einem Streitfall auszugehen, der zumindest teilweise nach dem EnWG zu entscheiden ist Denn die Prüfung, ob die Entgeltbestimmung der Klägerin billigem Ermessen. nach § 315 Abs. 3 BGB entspricht, richtet sich auch nach dem EnWG. Nach § 1 Abs. 1 EnWG ist Zweck des Gesetzes, eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leistungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas sicherzustellen. Damit ist für Energieversorgungsverträge der Grundsatz der preisgünstigen Versorgung zu berücksichtigen. Das EnWG regelt auch keineswegs lediglich das „Ob\" der Grundversorgungspflicht. In dem EnWG sind auch Vorschriften enthalten, die das „Wie\" der Grundversorgung regeln, nämlich, dass eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leistungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit sichergestellt werden soll. Um die Frage der Angemessenheit und Billigkeit der berechneten Preise geht es aber gerade im vorliegenden Rechtsstreit. Die Wertentscheidungen des EnWG müssen bei der Billigkeitsüberprüfung nach § 315 BGB berücksichtigt werden. Damit aber hängt die Entscheidung des Rechtsstreits von den energiewirtschaftlichen Vorschriften ab.
In Anbetracht der Bedeutung und Wichtigkeit des vorliegenden Rechtsstreits ist es überdies im Sinne einer Einheitlichkeit der Rechtsprechung geradezu geboten, dass übergeordnete Landgericht als sachlich zuständig anzusehen.
Demgegenüber ist eine Sonderzuständigkeit der Landgerichte gern. § .87 GWB nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift sind für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die die Anwendung des GWB betreffen, ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstands die Landgerichte ausschließlich zuständig. Diese Vorschrift kann in Niedersachsen nach § 14 der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten in der Gerichtsbarkeit und der Justizverwaltung vorn 22.01.1998 (Nds. GVBI. Nr. 3/1998] die ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts Hannover begründen. Die Voraussetzungen dieser Sonderzuständigkeit sind jedoch nicht gegeben. Denn die kartellrechtlichen Vorschriften regeln die Frage der Billigkeit von Energiepreiserhöhungen gerade nicht. Nur kartellrechtliche Vorfragen werden im GWB geregelt. Diese Vorfragen aber begründen die kartellrechtliche Sonderzuständigkeit nicht.
Auf den Hilfsantrag der klagenden Partei war der Rechtsstreit daher an das sachlich zuständige Landgericht Osnabrück, und dort die funktionell zuständige Kammer für Handelssachen, zu verweisen.
Die Bindungswirkung dieses Beschlusses kann für den Fall, dass man eine andere Auffassung zu § 102 EnWG vertreten sollte, nicht in Zweifel gezogen werden (so ausdrücklich OLG Braunschweig, Beschluss vom 15.08.2007, Az.: 1 W 43/07 unter Aufhebung der anders lautenden Entscheidung des Landgerichts Göttingen vom 27.06.2007, Az.: 3 0 90/07, beide Entscheidungen zitiert nach Juris).
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Siehe auch LG Lüneburg, B. v. 14.10.2008