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Autor Thema: AG Nürtingen, Urt. v. 03.11.08, Az. 11 C 881/08 Zahlungsklage stattgegeben  (Gelesen 3373 mal)

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Offline RR-E-ft

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AG Nürtingen, Urt. v. 03.11.08, Az. 11 C 881/08

Das AG Nürtingen stellt die Widersprüchlichkeit in der Rechtsprechung des 8.Zivilsenats des BGH heraus.

Zitat
Die Konstruktion des Bundesgerichtshofes in seiner Entscheidung vom 13.06.2007, wonach eine auf eine Bezugskostenerhöhung gestützte Preiserhöhung unbillig sein könne, wenn der Anstieg durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen werde, ist unter der Konstruktion des ursprünglich vereinbarten Preises bedenklich, da eben wegen des vereinbarten Preises Preisänderungen nach unten weder bei Reduzierung der Bezugskosten noch bei Reduzierung der übrigen Kosten, im Rahmen von § 315 Abs. III BGB erzwungen werden können. Bei der Zugrundelegung von zu einem bestimmten Zeitpunkt vereinbarten Preisen ist nie die Weitergabe allgemeiner Preissenkungen erzwingbar, vielmehr bleibt dies dem „Markt “ überlassen.

Anzumerken ist, dass der BGH mittlerweile mehrfach entschieden hat, dass ein Billigkeitsnachweis durch Preisvergleiche monopolistischer Versorger nicht zu führen ist (VIII ZR 138/07, VIII ZR 314/07), aus der gesetzlichen Bindung der Allgemeinen Tarife an den Maßstab der Billigkeit auch eine Verpflichtung zu Preisanpassungen zu gunsten der Kunden bei rückläufigen Kosten besteht (KZR 2/07, VIII ZR 225/07, VIII ZR 56/08].


Kartellsenat des BGH bereits im April 2008:


Zitat
BGH, Urt. v. 29.04.2008 - KZR 2/07 Tz. 26

Die Vorschrift [§ 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV] bestimmt, dass das Gasversorgungsunternehmen zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung stellt und dass Änderungen der allgemeinen Tarife und Bedingungen erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam werden. Zwar ergibt sich auch aus dem Tarifbestimmungs- und -änderungsrecht entgegen der Auffassung der Kläger ein (gesetzliches) Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 BGB (BGHZ 172, 315 Tz. 17). Dass die Norm keine Vorgaben zu Zeitpunkt und Inhalt von Preisänderungen nennt, ist jedoch eine unmittelbare Folge des Umstandes, dass Tarifkunden zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen beliefert werden und beliefert werden müssen. Aus der gesetzlichen Bindung des allgemeinen Tarifs an den Maßstab der Billigkeit (BGHZ 172, 315 Tz. 16 f.) ergibt sich nicht nur die Rechtspflicht des Versorgers, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen. Der Versorger ist vielmehr auch verpflichtet, die jeweiligen Zeitpunkte einer Tarifänderung so zu wählen, dass Kostensenkungen nicht nach für den Kunden ungünstigeren Maßstäben Rechnung getragen wird als Kostenerhöhungen, so dass Kostensenkungen mindestens in gleichem Umfang preiswirksam werden müssen wie Kostenerhöhungen. Die gesetzliche Regelung umfasst daher neben dem Recht des Versorgers zur Preisanpassung auch die Pflicht hierzu, wenn die Anpassung dem Kunden günstig ist

Nunmehr VIII.Zivilsenat des BGH Mitte Juli 2009:

Zitat
BGH, Urt. v. 15.07.2009 - VIII ZR 225/07 Tz. 28

Aus der Bindung des Allgemeinen Tarifs an billiges Ermessen folgt, wie oben bereits ausgeführt, weiter, dass das Preisänderungsrecht des Gasversorgungsunternehmens nach § 4 AVBGasV mit der Rechtspflicht einhergeht, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen und den Zeitpunkt einer Tarifänderung so zu wählen, dass Kostensenkungen nicht nach für den Kunden ungünstigeren Maßstäben Rechnung getragen wird als Kostenerhöhungen. Die gesetzliche Regelung umfasst daher neben dem Recht des Versorgers zur Preisanpassung auch die Pflicht hierzu, wenn die Anpassung dem Kunden günstig ist (BGHZ 176, 244, Tz. 26; vgl. auch BGH, Urteil vom 21. April 2009, aaO, Tz. 25).

Zitat
BGH, Urt. v. 15.07.2009 - VIII ZR 56/08 Tz. 20

Daraus hat der Senat hergeleitet, dass § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV den Gasversorgungsunternehmen im Bereich der Versorgung von Tarifkunden ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gewährt (BGHZ 172, 315, Tz. 16 f.; 178, 362, Tz. 26). Die Vorschriften sind durch § 5 Abs. 2 GasGVV ersetzt worden, ohne dass sich dadurch in der Sache etwas ändern sollte (vgl. BR-Drs. 306/06, S. 25 f., 43). Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 GasGVV ist der Grundversorger auch weiterhin nur verpflichtet, dem Kunden zu den jeweiligen Allgemeinen Preisen und Bedingungen Gas zur Verfügung zu stellen. Entsprechend geht § 17 Abs. 1 Satz 3 GasGVV davon aus, dass Allgemeine Preise für Gas auf einer einseitigen Leistungsbestimmung durch den Versorger beruhen können, die der Kunde nach § 315 BGB auf ihre Billigkeit hin überprüfen lassen kann.

Auch andere Erwägungen des AG Nürtingen sind überholt.

Zitat
Nur am Rande sei erwähnt, dass nach der geltenden Gesetzlage und der Rechtsprechung des BGH ein gespaltener Kundenmarkt eines Gaslieferanten hergestellt wird, der § 36 Abs. I des Energiewirtschaftsgesetzes widerspricht. Dort heißt es:
 
   
 „Energieversorgungsunternehmen haben für Netzgebiete, in denen sie die Grundversorgung von Haushaltskunden durchführen, allgemeine Bedingungen und allgemeine Preise für die Versorgung in Niederspannung oder Niederdruck öffentlich bekannt zu geben und im Internet zu veröffentlichen und zu diesen Bedingungen und Preisen jeden Haushaltskunden zu versorgen.“

 Damit ist klar, dass der Gesetzgeber allgemeine Preise für die Haushaltskunden haben wollte und die Konsequenz der Rechtsprechung des BGH die ist, dass zumindest theoretisch die Verpflichtung zu eben diesem Preis jeden Haushaltskunden zu versorgen, aufgehoben ist, da die Einzelfallentscheidung den allgemeinen Preis aufhebt.

Aus der Entscheidung des BGH vom 08.07.2009 (VIII ZR 314/07) geht hervor, dass der vom Kunden zu zahlende Tarifpreis unter Umständen auf Antrag durch das Gericht neu zu bestimmen ist (Ersatzbestimmung gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB).


Zitat
BGH, Urt. v. 08.07.2009 VIII ZR 314/07 Tz. 34

Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass die Preiserhöhungen nicht der Billigkeit entsprechen, ist der Hilfsantrag der Beklagten auf Bestimmung des zwischen den Parteien geltenden Arbeitspreises Erdgas zum 1. Oktober 2004 und 1. Oktober 2005 zu berücksichtigen.

Dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in sich widersprüchlich ist, ist jedoch nicht nur der Eindruck des AG Nürtingen.

Offline tangocharly

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AG Nürtingen, Urt. v. 03.11.08, Az. 11 C 881/08 Zahlungsklage stattgegeben
« Antwort #1 am: 05. September 2009, 17:00:07 »
Trotzdem;
auch diese Entscheidung stellt keinen Glanzpunkt bundesdeutscher Rechtsprechungskunst dar...
<<Der Preis für die Freiheit ist die Verantwortung>>

 

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