LG Stuttgart, Urt. v. 29.04.2009 Az. 5 S 179/08Das
Amtsgericht Esslingen hatte zutreffend festgestellt, dass die Klägerin die Billigkeit ihrer Gaspreiserhöhungen nicht nachgewiesen hatte, weil ihre Darlegungen dafür nicht ausreichten und die Klage hinsichtlich der auf Gaspreiserhöhungen beruhenden Forderungen abgewiesen. Unberücksichtigt blieb beim AG Esslingen, dass die streitgegenständlichen Abschlagszahlungen auch vom EVU auf gesetzlicher Grundlage einseitig festgesetzt wurden und deshalb - soweit als unbillig gerügt - ebenso der Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB unterlagen.
Nach den Feststellungen des AG Esslingen hatten die Beklagten alle einseitigen Preisneufestsetzungen des Versorgers bereits seit 2004 widersprochen und die geänderten Gaspreise als unbillig gerügt.
Das Urteil des LG Stuttgart gründet in mehrfacher Hinsicht auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung.
Rechtsfehlerhaft ist die Ausführung:
\"Da das Vorliegen eines \"billigen\" Gaspreises für das Jahr 2006 nicht nachgewiesen wurde, obliegt die Bestimmung eines billigen Preises gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB dem Gericht\".Für eine Ersatzbestimmung gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB lagen die Voraussetzungen schon nicht vor (vgl. BGH, Urt. v. 02.10.1991 - VIII ZR 240/90 , am Ende):
Zu Recht hat es das Berufungsgericht auch abgelehnt, die Preisbestimmung selbst durch Urteil zu treffen (§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB). Das ist nur zulässig, wenn die Bestimmung durch die dazu befugte Partei nicht der Billigkeit entspricht oder verzögert wird und eine hinreichende tatsächliche Grundlage für eine ersetzende gerichtliche Bestimmung vorhanden ist. Eine Verzögerung liegt ersichtlich nicht vor. Ob und gegebenenfalls inwieweit die Preisfestsetzung der Klägerin unbillig ist, kann dagegen wegen des zur Nachprüfung ungeeigneten Vortrags der Klägerin nicht beurteilt werden.
Konnte das Gericht wegen der unzureichenden Darlegungen des darlegungs- und beweisbelasteten Versorgungsunternehmens nicht feststellen, dass die einseitigen Preisbestimmungen der Billigkeit entsprachen, liegen damit die Voraussetzungen für eine Ersatzbestimmung gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB noch nicht vor. Weder stand die Unbilligkeit
positiv fest, noch ist ein entsprechender
Antrag auf gerichtliche Ersatzbestimmung gem. § 308 ZPO ersichtlich. Erstinstanzlich wurde ein solcher Antrag nicht gestellt. Ohne entsprechenden Antrag darf das Gericht eine Ersatzbestimmung nicht vornehmen. Auch fehlte es an den notwendigen hinreichenden tatsächlichen Feststellungen für eine Ersatzbestimmung.
Wenn sich das LG Stuttgart an BGH VIII ZR 36/06 und VIII ZR 138/07 orientieren wollte, so war ihm die Bestimmung eines \"billigen\" Gaspreises für 2006 sowieso verwehrt. Der VIII. Zivilsenat meint nämlich, nicht der gesamte Gaspreis unterliege der Billigkeitskontrolle in direkter Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB, sondern nur die angegriffene Erhöhung. Wenn jedoch nicht der gesamte Gaspreis der Billigkeitskontrolle unterliegt, so kann dieser denknotwendig auch nicht Gegenstand einer gerichtlichen Ersatzbestimmung gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB sein!
Der gerichtlichen Kontrolle unterlagen alle einzelnen angegriffenen einseitigen Gaspreisneufestsetzungen seit 2004. Zu jedem einzelnen Preisänderungsschritt gem. § 315 Abs. 2 BGB war eine gerichtliche Billigkeitskontrolle erforderlich.
Erst recht konnte das Gericht keine Ersatzbestimmung auf der Grundlage der Preise anderer Gasversorger treffen (vgl. nur BGH, Urt. v. 19.11.2008 - VIII ZR 138/07 Tz. 49 ff.):
Ein Marktpreis auf dem regionalen Gasversorgungsmarkt, den die Beklagte bedient, scheidet als Vergleichsmaßstab von vornherein aus, weil die Beklagte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in dem hier maßgeblichen Zeitraum die alleinige Anbieterin von leitungsgebundenem Erdgas war. Auch eine Beurteilung der Billigkeit der Preiserhöhung der Beklagten unter Heranziehung des Vergleichsmarktkonzeptes im Sinne von § 19 Abs. 4 Nr. 2 Halbs. 2 GWB (vgl. dazu Dreher, ZNER 2007, 103, 110) kommt nach dem Vorbringen der Beklagten nicht in Betracht. Zum Vergleich herangezogen werden können nach § 19 Abs. 4 Nr. 2 Halbs. 2 GWB grundsätzlich nur die Preise von Gasversorgungsunternehmen auf vergleichbaren Märkten mit wirksamem Wettbewerb. Dazu hat die Beklagte nichts vorgetragen.
Selbst wenn man zugunsten der Beklagten unterstellen wollte, dass bei Störung des Wettbewerbs auf dem Gasversorgungsmarkt auch ein Monopolunternehmen zum Vergleich herangezogen werden könnte, sofern dabei den mit monopolistischen Strukturen verbundenen Preisüberhöhungstendenzen wirksam begegnet würde (vgl. BGHZ 163, 282, 289 ff. - Stadtwerke Mainz), müsste jedenfalls der Raum, in dem das Vergleichsunternehmen tätig ist, ebenso strukturiert sein wie das Gebiet, in dem die Beklagte ihre Leistungen erbringt. Andernfalls müsste die Vergleichbarkeit der Preise für unterschiedlich strukturierte Gebiete durch Zu- und Abschläge auf die Referenzpreise hergestellt werden. Zu ermitteln wäre der Preis, den das zum Vergleich herangezogene Unternehmen in Rechnung stellen müsste, wenn es an Stelle des betroffenen Energie-versorgungsunternehmens tätig würde (BGHZ aaO, 292 f.).
Es kam nämlich entscheidend auf den Preis an, der das bereits
vorgefasste Äquivalenzverhältnis ohne Erhöhung des Gewinnanteils am konkreten Vertragspreis wahrte, wofür es auf die
konkrete Kostenentwicklung des konkreten Versorgers bei allen preisbildenden Kostenfaktoren des Gaspreises einschließlich derer des Preissockels hinsichtlich jedes einzelnen einseitigen Preisänderungsschritts ankommt (vgl. nur BGH, Urt. v. 19.11.2008 - VIII ZR 138/07 Tz. 39):
Eine auf eine Bezugskostensteigerung gestützte Preiserhöhung kann allerdings - wie die Revisionserwiderung zu Recht einwendet - unbillig sein, wenn und soweit der Anstieg durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen wird (BGHZ 172, 315, Tz. 26). Unter diesem Gesichtspunkt müssen jedenfalls die Kostenbestandteile des Preissockels in die Beurteilung der Billigkeit der Preiserhöhung einbezogen werden, auch wenn dieser in seiner Gesamtheit, wie ausgeführt (oben unter 1), einer Billigkeitskontrolle entzogen ist (vgl. Dreher, ZNER 2007, 103, 107).
Da die Entwicklung der weiteren preisbildenden Kostenfaktoren jedenfalls in die Beurteilung der Billigkeit der Preisänderung einbezogen werden müssen, kann eine Ersatzbestimmung dann nicht erfolgen, wenn die entsprechende (notwendigen) Tatsachenfeststellungen wegen unzureichender Darlegungen und Nachweise des Versorgungsunternehmens fehlen.
Ein krude erscheinendes Urteil, welches wohl- in mehrfacher Hinsicht - auf einer fehlerhaften Anwendung des § 315 BGB gründet.
Nachdem die Voraussetzungen einer Ersatzbestimmung gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB in mehrfacher Hinsicht nicht vorlagen, war eine solche nach der Rechtsprechung des BGH unzulässig. Das Berufungsgericht hätte es demnach bei der Klageabweisung des Amtsgerichts belassen müssen.
Zudem wird eine gerichtliche Ersatzbestimmung gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB erst mit der Rechtskraft des Gestaltungsurteils wirksam. Erst von da an kann überhaupt eine verbindliche und fällige Forderung des Versorgers bestehen. Bis dahin konnten sich die Beklagten deshalb nicht im Verzug befinden, so dass ihnen deshalb weder Vezugszinsen, noch wohl die Prozesskosten aufgegeben werden konnten.
BGH, Urt. v. 05.07.2005 - X ZR 60/04 unter II.1 b)
b) Die entsprechende Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB hat zur Folge, daß die vom Versorgungsunternehmen angesetzten Tarife für den Kunden nur verbindlich sind, wenn sie der Billigkeit entsprechen (§ 315 Abs. 3 Satz 1 BGB). Entspricht die Tarifbestimmung nicht der Billigkeit, so wird sie, sofern das Versorgungsunternehmen dies beantragt[/COLOR], ersatzweise im Wege der richterlichen Leistungsbestimmung durch Urteil getroffen (§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB; vgl. Staudinger/Rieble, aaO Rdn. 294 f.). Erst die vom Gericht neu festgesetzten niedrigeren Tarife sind für den Kunden verbindlich, und erst mit der Rechtskraft dieses Gestaltungsurteils wird die Forderung des Versorgungsunternehmens fällig und kann der Kunde in Verzug geraten (BGH, Urt. v.24.11.1995 - V ZR 174/94, NJW 1996, 1054; MünchKomm./Gottwald, BGB, 4. Aufl., § 315 Rdn. 49; Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., § 315 Rdn. 17; Staudinger/Rieble, aaO Rdn. 276); erst von diesem Zeitpunkt an besteht mithin eine im gerichtlichen Verfahren durchsetzbare Forderung des Versorgungsunternehmens.
Hierin wird nochmals ersichtlich, dass die gerichtliche Ersatzbestimmung regelmäßig die Feststellung der Unbilligkeit und einen entsprechenden Antrag des Versorgungsunternehmens gem. § 308 ZPO zur Voraussetzung hat. Trifft ein Gericht eine Entscheidung, ohne dass überhaupt gem. § 308 ZPO ein entsprechender Antrag gestellt wurde, verletzt das Gericht elementares Prozessrecht, so dass eine verfassungswidrige Rechtsverletzung durch die Entscheidung zu besorgen steht.
Es stünde zu besorgen, dass Zivilgerichte ohne Anträge gem. § 308 ZPO von sich aus Entscheidungen über dies und jenes treffen, wovor niemand gefeit wäre. Eine kafkaeske Vorstellung. Es gilt jedoch jeher der Grundsatz, wo kein Kläger (klägerischer Antrag), da kein Richter (Urteil).
Es steht zu hoffen, dass sich die betroffenen Beklagten gegen diese Entscheidung weiter zur Wehr setzen suchen.