@ Randy
Es ist alles nur ein „
Verdacht“, wie der Thread-Titel schon sagt. „
Vorläufige Beurteilungen der EU-Kommission“ sind nichts, auf dem sich gut eine Klage aufbauen lässt, weder zivilrechtlich, um z. B. auf Basis von § 34 GWB Schadenersatz von E.ON einzuklagen, noch strafrechtlich, wenn man die Ressourcen und Abhängigkeiten deutscher Staatsanwaltschaften berücksichtigt.
So lautet Satz 1 in Absatz 4 von § 34 des GWB:
„
Wird wegen eines Verstoßes gegen eine Vorschrift dieses Gesetzes oder Artikel 81 oder 82 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Schadensersatz begehrt, ist das Gericht insoweit an die Feststellung des Verstoßes gebunden, wie sie in einer bestandskräftigen Entscheidung der Kartellbehörde, der Kommission der Europäischen Gemeinschaft oder der Wettbewerbsbehörde oder des als solche handelnden Gerichts in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft getroffen wurde.“
Inhalt der Entscheidung aus BrüsselTatsächlich hat die Kommission überhaupt nichts förmlich „
festgestellt“, was in irgendeiner justiziabel wäre. Denn in der Entscheidung der Kommission vom 26.11.2008 in Sachen COMP/39.388 – Deutscher Stromgroßhandelsmarkt und COMP/39.389 – Deutscher Regelenergiemarkt heißt es, vgl. Abschnitt 90 in
http://ec.europa.eu/competition/antitrust/cases/decisions/39389/de.pdf: „
Diese Entscheidung enthält keine Schlussfolgerung zu der Frage, ob eine Zuwiderhandlung vorgelegen hat oder noch vorliegt.“ In Abschnitt 91 fährt die Kommission mit ihrer Schlussfolgerung fort: „
Angesichts der angebotenen Verpflichtungen besteht für die Kommission kein Anlass zum Tätigwerden mehr, weshalb das Verfahren unbeschadet des Artikels 9 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates einzustellen ist.“
Wie selbstverständlich verzichtet die EU-Kommission auf jegliche Form von Sanktionen, die bei Verstößen gegen Wettbewerbsregeln in Gesetzen und Verordnungen der europäischen Gemeinschaft vorgesehen sind. Ohne die förmliche Feststellung eines Verstoßes bleibt für Schadenersatzklagen der ganze Aufwand bestehen, die Kartellrechtswidrigkeit noch nachzuweisen. Diese Beweislast ist im allgemeinen derart schwierig, dass ein privater Kläger ohne Kartellamts-Feststellung faktisch überhaupt keine Chance hat, seine Ansprüche vor Gericht durchzusetzen.
Arbeitsverweigerung der EU-KommissionDer Brüsseler Anhörungsbeauftragte der EG-Kommission für Wettbewerbsverfahren, Herr Michael Albers, erklärt dazu am 10.11.2008 in seinem Abschlussbericht zu dem Verfahren, vgl. Amtsblatt C 36/7 der Europäischen Union vom 13.2.2009 unter
http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2009:036:0007:0007:DE:PDF
: „
Mit einer Entscheidung nach Artikel 9 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 wird kein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht festgestellt, sondern die Kommission erklärt die Verpflichtungszusagen des beteiligten Unternehmens für bindend, die geeignet sind, die in ihrer vorläufigen Beurteilung mitgeteilten Bedenken auszuräumen. Diesem Vorgehen liegt das Bestreben beider Seiten zugrunde, die administrativen und rechtlichen Schritte, die mit einer umfassenden Untersuchung einer mutmaßlichen Zuwiderhandlung verbunden sind, zu vereinfachen.“ (* Da ich das mit den dummen Icons nicht geregelt bekomme, die sind automatisch entstanden und zerstören den Link, hier die Anleitung, um das Dokument auf dem Server der EU zu finden: der Link beginnt mit \"http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/\" , in der Mitte steht \"LexUriServ.do?uri=OJ:C:2009:036:0007:0007:\" und der Link endet mit \"DE\" und \":\" und \"PDF\". Wenn der Administrator hier helfen kann, wäre das toll! *)
Es ist schlicht Arbeitsverweigerung oder womöglich sogar ein Zeichen von Korruption, kein ordentliches Kartellverfahren durch alle Instanzen durchzuführen. Wenn es um Bußgelder in Milliardenhöhe geht, dann dürfen „
die administrativen und rechtlichen Schritte, die mit einer umfassenden Untersuchung einer mutmaßlichen Zuwiderhandlung verbunden sind“ schon ziemlich groß werden, bevor man darauf verzichtet.
Verbleib der Beute bei EON Das Vorgehen der EU-Kommission erinnert an ein Gericht, das einen Bankräuber verurteilen soll, der in der Vergangenheit von 2002 – 2006 mit großem Erfolg mehrere Banken ausgeraubt hat. Nachdem der Bankräuber ertappt wird, besteht seine einzige „Strafe“ in seiner Zusage, künftig keine Bank mehr auszurauben und in der Verpflichtung, seine Einbruchswerkzeuge und Waffen zu verkaufen. Die Beute aus den Banküberfällen darf der Bankräuber natürlich behalten, ebenso den Erlös aus den Waffenverkäufen.
Das ganze Vorgehen erinnert an das spektakuläre Mannesmann-Urteil gegen den früheren Vorstandsvorsitzenden Klaus Esser, denn der durfte seine riesige Abfindung und Prämien auch behalten. So etwas kennzeichnet einen Justiz-Deal moderner Prägung.
Nebenwirkung der Entscheidung auf EU-WettbewerbDer Heidelberger Journalist Udo Leuschner hat in der Energie-Chronik auf seiner Homepage unter
http://udo-leuschner.de/energie-chronik/chframe.htm am 1. November folgendes festgehalten:
„
Weit weniger euphorisch sieht der Europäische Verband der unabhängigen Strom- und Gasverteilerunternehmen (GEODE) die von E.ON eingegangenen Verpflichtungen. In einer Stellungnahme vom 27. November kritisierte er den jetzt akzeptierten Handel als unzureichend und forderte Nachbesserungen: E.ON habe nicht angeboten, die Erzeugungskapazitäten an potentielle Wettbewerber zu verkaufen, sondern sich vielmehr vorbehalten, die Erzeugungskapazitäten mit Erzeugungskapazitäten in anderen Mitgliedsstaaten zu tauschen. Die Anforderungen an den Tauschpartner seien dabei so gestaltet, daß nur Unternehmen in Betracht kommen, die in anderen Mitgliedsstaaten über eine marktbeherrschende Stellung auf dem Strommarkt verfügen.
Insbesondere kämen die Eléctricité de France (EDF) und die Italienische ENEL als Erwerber der E.ON-Kraftwerkskapazitäten in Betracht. Diese Unternehmen würden in Deutschland aber nicht in Wettbewerb mit E.ON treten, wenn sie auf ihren Heimatmärkten mit einer entsprechenden Reaktion von E.ON rechnen müssen. Auf diese Weise werde der jetzt vereinbarte Handel zu zusätzlichen Interessenverbindungen zwischen E.ON und den anderen großen europäischen Stromerzeugern führen und der Entstehung oligopolistischer Strukturen in ganz Europa Vorschub leisten. Außerdem hätten Stadtwerke, neue Anbieter auf dem Strommarkt und die Industrie keine Möglichkeit, Erzeugungskapazitäten von E.ON zu erwerben, weil sie keine eigenen Erzeugungskapazitäten zum Tausch anbieten können. Die 1991 gegründete GEODE vertritt die Interessen von Stadtwerken und anderen konzernunabhängigen Gas- und Stromverteilern.“
Die Kartellstrukturen würden dank der EU-Entscheidung demnach von Deutschland auf ganz Europa ausgedehnt, ganz im Sinne der Expansionspläne von E.ON. Über diese wirtschaftlichen Nebenwirkung schweigt natürlich die EU-Kommission und die von den Großkonzernen abhängige Presse.
Kein EinzelfallBeim Speyerer Kartellrechtsforum wird am 23.3.2009 als erstes Thema „Deals im Kartellverfahren: Die Einführung von Vergleichsverfahren durch die EG-Kommission“ diskutiert, siehe
http://www.dhv-speyer.de/FORTBILD/010109.pdf. Möglichweise kann man dort erfahren, warum auf EU-Ebene der Schutz der Großkonzerne höher bewertet wird als die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben. Denn die Entscheidung der Kommission vom 26.11.2008 in Sachen COMP/39.388 – Deutscher Stromgroßhandelsmarkt und COMP/39.389 – Deutscher Regelenergiemarkt ist kein Einzelfall, wie der aktuelle Fall Gasnetz von RWE belegt, siehe
RWE entgeht Kartellstrafe. Unter der Überschrift „
Kartellrecht: Kommission nimmt Verpflichtungszusage von RWE zur Veräußerung seines Gasfernleitungsnetzes an und öffnet so den deutschen Gasmarkt für mehr Wettbewerb“ stellt die EU-Kommission am 18.3.2009 wieder ein Verfahren gegen ein Mitglied des deutschen Energiekartells ein, ohne Bußgelder zu verhängen und ohne die Vorteile aus der Vergangenheit abzuschöpfen, siehe Pressemitteilung IP/09/410 unter
http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/09/410&format=HTML&aged=0&language=DE&guiLanguage=en Wer mit wachen Augen beobachtet, wie das Bundeskartellamt in Deutschland mit Wettbewerbsverstößen in der Energiewirtschaft umgeht, findet erstaunliche Parallelitäten. Die Deals zwischen Rechtsbrechern und Amt nehmen zu, gerade in wichtigen Verfahren mit Milliardenstreitwerten. Wie war das z. B. mit den CO2-Emissionszertifikaten in Deutschland?
Das Bundeskartellamt hat sich mit dem Beschluss B 8 – 88/05 – 2 vom 26.9.2007 auf einen Deal mit RWE eingelassen. In seiner Einstellungsverfügung hat das Bundeskartellamt RWE zur Auflage gemacht, in den Jahren 2008 – 2012 eine bestimmte Strommenge an die Industriekunden zu versteigern, die das ganze Kartellverfahren durch ihre Beschwerde ausgelöst hatten. Bei der Auktion sollten die CO2-Zertifikate nicht in das Mindestgebot für den Arbeitspreis des Stroms einkalkuliert werden, siehe
http://www.bundeskartellamt.de/wDeutsch/download/pdf/Kartell/Kartell07/B8-88-05-2.pdf. In seinem Beschluss vom 26.9.2007 verzichtete das Bundeskartellamt auf eine Vorteilsabschöpfung, die nach § 34 GWB möglich gewesen wäre, und dachte auch nicht an die Privathaushalte, die wie die Industrieverbraucher für die kostenlos zugeteilten CO2-Zertifikate kartellrechtswidrig zur Kasse gebeten worden waren.
Wirkung der Kartell-Deals auf die RechtsstaatlichkeitVon den Vorschriften der Kartellgesetze in Deutschland und auf EU-Ebene geht keine regulierende Wirkung mehr aus. Wer gegen Kartellgesetze verstößt, kann das ruhig ein paar Jahre ungestraft tun, er muss keine Buße fürchten. Der Sühnecharakter von Sanktionen, die das Kartellrecht vorsieht, geht verloren. Eine Abschreckungswirkung geht von den Kartellgesetzen nicht mehr aus, eine Prävention für künftige Wiederholungen fehlt.
Uns als Verbrauchern wird auch keine Wiedergutmachung oder Schadenersatz zuteil. Statt dessen dürfen wir beobachten, wie die Rechtskultur und mit ihm der Rechtsstaat völlig untergeht, siehe dazu vertiefend das 38 Seiten kleine Büchlein „
Wetterzeichen vom Untergang der deutschen Rechtskultur - Die Urteilsabsprachen im Strafprozess als Abgesang auf die Gesetzesbindung der Justiz und den Beruf unserer Zeit zur Gesetzgebung“ von dem Münchener Strafrechtsprofessor Dr. Bernd Schünemann aus dem Jahr 2005, ISBN 978-3-8305-1031-4. Die aktuellen Deals im Kartellrecht stehen den Deals im Strafrecht in nichts mehr nach.
Mit freundlichen Grüßen
Lothar Gutsche