Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen
Kartellrecht
RR-E-ft:
@reblaus
Die Kartellrechtswidrigkeit eines langfristigen Vorlieferantenvertrages lässt die Wirksamkeit des Vertrages zwischen Energieversorgungsunternehmen und Letztverbraucher und darin enthaltener Preisänderungsklauseln grundsätzlich unberührt. Letztere sind wirksam oder unwirksam (vgl. BGH, Urt. v. 29.04.2008 - KZR 2/07 und Urt. v. 17.12.2008 - VIII ZR 274/06).
Im Rahmen einer Billigkeitskontrolle ließe sich ggf. dem Argument gestiegener Bezugskosten im Vorlieferantenverhältnis der Boden entziehen.
Der BGH stellt dabei aber schon selbst nicht mehr auf einen tatsächlichen Bezugskostenanstieg ab, sondern nur auf einen solchen, der im Vorlieferantenverhältnis zur Anpassung an die Marktverhältnisse überhaupt nur notwendig war (BGH, Urt. v. 19.11.2008 - VIII ZR 138/07).
Stellt man auf die Großhandelspreise und monatlichen BAFA- Erdgasimportpreise (Wert der Ware Erdgas an der deutschen Grenze) ab, so waren diese aber auch nicht statisch, sondern variabel.
Die nominale Steigerung der Großhandelspreise auf dem vorgelagerten Großhandelsmarkt (aber auch nur diese!) wäre also [ohne Kompensationsmöglichkeit bei anderen preisbildenden Faktoren wie Netzentgelten] auch dann beim Letzverbraucher angekommen, wenn es die Langfristverträge zwischen Importeuer und Regionalversorger usw. in der Lieferkette ab deutscher Grenze nicht gegeben hätte, das Gas auf dem vorgelagerten Großhandelsmarkt frei beschafft worden wäre.
Es ist also nicht so, dass es ohne die kartellrechtswidrigen Langfristverträge keine Preisänderungen bei den Letzverbrauchern gegeben hätte, wo diese aufgrund einseitiger Leistungsbestimmungsrechte zulässig waren. Sie wären für die Letztverbraucher nur deutlich günstiger ausgefallen.
Darauf zu schließen, dass die Kartellrechtswidrigkeit eines Vorlieferantenvertrages per se jede Berechtigung zur einseitigen Preisanpassung bei bestehendem einseitigen Leistungsbestimmungsrecht entfallen ließe und deshalb jedenfalls die alten Letzverbraucherpreise weitergelten müssten, ist nicht angezeigt. Es wäre vielmehr daran zu denken, ob nicht etwa die Vorsaussetzungen für eine gerichtliche Neubestimmung gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB im konkreten Fall vorliegen.
Die Probleme sind sinnvollerweise bereis im Rahmen einer Unbilligkeitseinrede im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 3 GVV abzuhandeln.
reblaus:
@RR-E-ft
Ich habe nicht behauptet, dass sich aus der Nichtigkeit eines Bezugsvertrages auch die Nichtigkeit eines Liefervertrages an den Endverbraucher ergibt. Ihr Einwand irritiert insoweit.
Die Nichtigkeit eines Bezugsvertrages erstreckt sich gem. Art. 81 Abs. 2 EG auf sämtliche Wirkungen die aus dem nichtigen Vertrag entstehen (EuGH Slg. 2001, I-6297, Rn. 22 = GRUR 2002, 367). Wenn der Versorger eine Preiserhöhung vornimmt, die auf der Erhöhung seiner Bezugskosten basiert, die wiederum aufgrund eines nach Art. 81 EG nichtigen Vertrages vorgenommen wurde, so ist die Preiserhöhung an den Endverbraucher eine Wirkung des nichtigen Bezugsvertrages und damit ebenfalls nichtig. Dies schließt nicht aus, dass der Versorger die Preise möglicherweise aus anderen Gründen hätte erhöhen können. Weist der Versorger z. B. nach, dass er für die Kalkulation der Preiserhöhung sich nicht auf die Erhöhung der Bezugskosten, sondern auf die Erhöhung der Personalkosten gestützt hat, so ist die Preiserhöhung wirksam, jedenfalls insoweit gestiegene Personalkosten nicht durch gesunkene Kosten an anderer Stelle aufgefangen werden konnten.
Stützt der Versorger seine Preiserhöhung sowohl auf gestiegene Bezugskosten als auch auf Kostensteigerungen in anderen Bereichen, käme eine Teilnichtigkeit in Betracht, so dass die Preiserhöhung nur in Höhe der Kostensteigerungen aus anderen Bereichen wirksam vorgenommen worden wäre. Die zum 1.01.2003 gestiegene Erdgassteuer könnte so umgelegt werden.
Alle Kostensteigerungen die sich bereits auf der Vorlieferantenstufe ergeben, bleiben bei der Preisfestsetzung für den Endverbraucher ohne Belang. Diese Kostensteigerungen wären bei gesetzmäßigem Vorgehen der Gaswirtschaft über die Preisgleitklausel im Bezugsvertrag weitergegeben worden. Da die Preisgleitklausel nichtig ist, existieren auch keine Kostensteigerungen. Es können auch keine bereicherungsrechtlichen Kostensteigerungen hergeleitet werden, da bei einer schuldhaften Teilnahme an einem Kartell bereicherungsrechtliche Ansprüche nach § 817 BGB ausgeschlossen sind. Die Kostenbelastungen aus der Sanktion des § 817 BGB entstehen nicht aufgrund der Gaslieferungen an den Endverbraucher sondern aufgrund der illegalen Teilnahme an einem Kartell. Die Kosten von illegalem Verhalten einer Geschäftsführung sind aber nicht auf den Verbraucher abwälzbar, sondern bei den verantwortlichen Personen als Schadensersatz geltend zu machen.
Alles andere wäre nur im Wege einer Umdeutung der Preiserhöhung nach § 140 BGB zu bewerkstelligen. Nur dann käme man dennoch zu einer Billigkeitsprüfung. Die Umdeutung ist bei sittenwidrigen Rechtsgeschäften aber ausgeschlossen.
Die Kostensteigerungen auf der Vorlieferantenstufe, soweit sie sich auch im Rahmen eines rechtmäßigen Marktgeschehens ergeben hätten, müssen nur bei einem Anspruch auf Schadensersatz berücksichtigt werden
RR-E-ft:
@reblaus
Sie meinen wohl, ohne die kartellrechtswidrigen Langfristverträge hätte es keine Bezugskostenveränderung gegeben.
Auch bei einer Beschaffung am freien vorgelagerten Gasbeschaffungsmarkt hätten sich die Beschaffungskosten verändert, weil sich der Wert der importierten Ware Erdgas an der deutschen Grenze verändert hat. Die dadurch begründete Änderung der Beschaffungskosten gründet also gerade nicht auf der Kartellrechtswidrigkeit langfristiger Vorlieferantenverträge, sind insoweit wohl also nicht Resultat der Wirkung nichtiger Verträge.
Im Rahmen des Vertragsverhältnisses EVU - Letztverbraucher besteht entweder ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht und es findet allein deshalb eine Billigkeitskontrolle gem. § 315 Abs. 3 BGB statt oder es besteht kein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht und es findet deshalb keine Billigkeitskontrolle statt (vgl. BGH, Urt. v. 17.12.2008 - VIII ZR 274/06). Wo schon kein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht besteht und allein deshalb einseitige Preisneufestsetzungen unwirksam sind, kommt es gerade nicht erst darauf an, ob es überhaupt einen Kostenanstieg gab und worauf dieser ggf. gründete (BGH, Urt. v. 29.04.2008 - KZR 2/07 und Urt. v. 17.12.2008 - VIII ZR 274/06).
Findet jedoch im Vertragsverhältnis EVU- Letzverbraucher demnach überhaupt eine Billigkeitskontrolle statt (Tarifkundenverhältnis), spielt es bei dieser eine entscheidende Rolle, ob es überhaupt einen Kostenanstieg gab und worauf dieser ggf. gründete. Dabei spielt eine Rolle, ob tatsächlich gestiegene Bezugskosten überhaupt im Vorlieferantenverhältnis für eine Anpassung an die Marktverhältnisse notwendig waren oder nicht (BGH, Urt. v. 19.11.2008 - VIII ZR 138/07 Tz. 43).
Die Marktverhältnisse auf dem vorgelagerten Gasbeschaffungsmarkt ergeben sich objektiv aus der monatlichen Entwicklung des Wertes der importierten Ware Erdgas an der deutschen Grenze.
Die Langfristverträge im Inland (und nur diese) wurden wegen der marktabschottenden Wirkung für kartellrechtswidrig erklärt und nicht wegen der darin enthaltenen Preisklauseln (vgl. BGH, B. v. 10.02.2009 - KVR 67/07).
Was es in diesem Zusammenhang mit der Umdeutung einer Preiserhöhung gem. § 140 BGB und § 817 BGB auf sich haben soll, erschließt sich mir nicht.
reblaus:
Ich weiß sehr wohl, dass es beim Import eine erhebliche Steigerung der Rohstoffkosten gegeben hat. Aufgrund der Nichtigkeit seiner Preiserhöhung ist der Gasversorger aber aus rechtlichen Gründen davon abgeschnitten, diese Kostensteigerungen an den Endkunden weiterzugeben.
Eine Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB findet nur statt, wenn der Versorger eine einseitige Preisbestimmung vorgenommen hat. Da die vorgenommene Preisbestimmung aber nichtig ist, hat der Versorger keine Preisbestimmung vorgenommen, so dass eine Billigkeitskontrolle überhaupt nicht erforderlich ist.
Wenn man Ihrer Ansicht folgen würde, müsste sich der Versorger darauf berufen können, dass es unbillig sei, dass er keine Preisbestimmung vorgenommen habe, oder besser noch, dass die Nichtigkeit seiner Preisbestimmung unbillig sei. Der Unbilligkeitseinwand kann aber doch demjenigen nicht zugestanden werden, der den Preis einseitig bestimmt.
Allenfalls könnte der Verbraucher einwänden, dass auch der seit 1998 geltende Preis unbillig sei, und abgesenkt werden müsse. Er wird ja wohl nicht einwänden wollen, dass der geltende Preis unbillig sei und erhöht werden müsse, da die Importpreise für Erdgas zwischenzeitlich gestiegen sind.
Ist Ihrer Ansicht nach eine Preisgleitklausel weiterhin gültig, wenn der gesamte Liefervertrag nichtig ist?
RR-E-ft:
@reblaus
Was für ein Tohuwabohu.
Besteht im Verhältnis EVU- Letzverbraucher ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht , so ist das EVU gesetzlich verpflichtet, die Tarife der Billigkeit entsprechend zu bestimmen und diese auch anzupassen, wenn es den Kunden günstig ist = Preisabsenkung (BGH, Urt. v. 29.04.2008 - KZR 2/07 Tz. 26). Der Kunde, dem gegenüber ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht besteht, kann die Unbilligkeitseinrede erheben, vgl. § 17 Abs. 1 Satz 3 GVV. Das aktuelle \"Prüfungsraster\" für eine solche Billigkeitskontrolle versucht BGH, Urt. v. 19.11.2008 - VIII ZR 138/07 vorzugeben. Entscheidend ist dafür, ob es einen Kostenanstieg gab und worauf dieser ggf. gründet.
Dem Versorger kann das Berufen auf einen Kostenanstieg überhaupt nur soweit rechtlich abgeschnitten sein, wie er auf der Wirkung eines kartellrechtswidrigen Vertrages gründet. Im Übrigen fehlt es schon an der Kausalität.
Ein Kostenstieg gründet aber nur soweit auf der Wirkung eines (kartellrechtswidrigen) Vorlieferantenvertrages als dieser höher ausfällt, als es zur Anpassung an die Marktverhältnisse auf dem vorgelagerten Beschaffungsmarkt objektiv notwendig ist. Im Übrigen kann man sich nämlich den kartellrechtswidrigen Vertrag und dessen Wirkungen vollständig hinwegdenken, ohne dass sich am Ergebnis etwas ändert. Dann beruht der Anstieg insoweit gerade nicht auf den Wirkungen eines bestimmten Vertrages.
Bei einseitigem Leistungsbestimmungsrecht ist eine einseitige Preis(neu)festsetzung gem. § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB unverbindlich (besondere Form der Unwirksamkeit), wenn sie unbillig ist.
Dabei kann sich ergeben, dass vorgenommene einseitige Preisneufestsetzungen unbillig und unverbindlich waren. Die Unverbindlichkeit ist jedoch nur eine vorläufige, soweit nämlich noch eine gerichtliche Ersatzbestimmung gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB in Betracht kommt, soweit die Voraussetzungen einer Ersatzbestimmung nach dieser Norm vorliegen (vgl. BGH, Urt. v. 02.10.1991 - VIII ZR 240/90). Deswegen werden Zahlungsklagen des Versorgers bei unbilliger Tariffestsetzung auch nur als derzeit unbegründet abgewiesen. Unter bestimmten Voraussetzungen ist es also möglich, bei einseitigem Leistungsbestimmungsrecht noch nachträglich zu einer erst dann verbindlichen werdenden Bestimmung zu gelangen, die gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB nach objektiven Maßstäben auf Antrag des einen oder des anderen Vertragsteils vom Gericht zu treffen ist. Der entsprechende Antrag kann auch vom Versorgungsunternehmen ausgehen (vgl. BGH, Urt. v. 02.10.1991 - VIII ZR 240/90). Die Verbindlichkeit ergibt sich bei einer gerichtlichen Ersatzbestimmung gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB erst mit der Rechtskraft des entsprechenden Gestaltungsurteils (vgl. BGH, Urt. v. 07.05.2005 - X ZR 60/04). Die Möglichkeit, dass der Versorger zulässigerweise noch einen Antrag nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB stellt, wurde wohl ausgeblendet.
Es kommt weder auf einen konkreten Vorlieferantenvertrag noch auf eine darin enthaltene Preisklausel an, sondern ausschließlich auf die objektiven Marktverhältnisse auf dem vorgelagerten Gasbeschaffungsmarkt (BGH, Urt. v. 19.11.2008 - VIII ZR 138/07 Tz. 43). Deshalb kann es ja gerade dahinstehen, ob der konkrete Vorlieferantenvertrag nun kartellrechtswidrig und insgesamt nichtig war oder aber nicht. Entscheidend ist doch, ob man das Gas (ohne den kartellrechtswidrigen Vorlieferantenvertrag) auf dem vorgelagerten Gasbeschaffungsmarkt günstiger hätte beschaffen können.
War der Wert der importierten Ware Erdgas an der deutschen Grenze entsprechend nominal gestiegen und war eine Anpassung an dieses Marktpreisniveau erforderlich und konnte der ggf. so vermittelte Kostenanstieg nicht durch rückläufige Kosten bei anderen preisbildenden Faktoren (Netzentgelte usw.) ausgeglichen werden?
Das macht die Sache schon deshalb leicht, weil ein objektivierter bzw. objektiver Marktpreis auf dem vorgelagerten Beschaffungsmarkt und dessen Entwicklung niemandes Geschäftsgeheimnis sein kann.
Wenn einzelne Stadtwerke (Jena) bereits seit 2006 Gas zu Fixpreisen bezogen haben, können sie selbsteredend nicht einen Preisanstieg auf dem vorgelagerten Gasbeschaffungsmarkt zum Anlass für einseitige Preiserhöhungen gem. § 315 Abs. 1 BGB nehmen, weil sie dadurch unbillig ihren Gewinnanteil erhöhen würden.
Navigation
[0] Themen-Index
[#] Nächste Seite
[*] Vorherige Sete
Zur normalen Ansicht wechseln