Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen
Unbilligkeitseinwand VOR Vertragsschluss?
RR-E-ft:
@ESG-Rebell
Die Ersatzversorgung ist ein gesetzliches Schuldverhältnis, da die Belieferung gerade keinem Vertragsverhältnis zugeordnet werden kann.
Da die Lieferung nicht auf einem Vertragsverhältnis beruht, ist folglich zwischen dem Kunden und dem Lieferanten auch kein Entgelt für die Lieferungen vertraglich vereinbart worden, da schon kein Vertrag.
Damit stellt sich die Frage, zu welchen Entgelten die Lieferungen im Rahmen dieses gesetzlichen Schuldverhältnisses erfolgen, die sich gerade dadurch auszeichnen, dass sie zwischen Kunde und Lieferant nicht - insbesondere nicht vor der Lieferung - vertraglich vereinbart worden sind (kein Vertragsverhältnis!).
Aus den Bestimmungen der GVV ergibt sich ohne weiteres, dass der Grundversorger berechtigt ist, die Entgelte für die von ihm geschuldete Ersatzversorgung durch öffentliche Bekanntgabe einseitig festzusetzen und zu ändern.
Es handelt sich dabei um ein gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht im Sinne von § 315 Abs. 1 BGB, auf welches die gerichtliche Billigkeitskontrolle gem. § 315 Abs. 3 BGB unmittelbare Anwendung findet.
BGH, Urt. v. 19.11.2008 (VIII ZR 138/07) Rn. 26:
--- Zitat ---Die Ausübung des sich aus diesen Vorschriften von Gesetzes wegen ergebenden Leistungsbestimmungsrechts unterliegt der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB ebenso wie eine einseitige Leistungsbestimmung auf vertraglicher Grundlage (BGHZ 172, 315, Tz. 14 ff.).
--- Ende Zitat ---
Wenig vorstellbar ist auch, dass dabei ein \"Preissockel\" vereinbart sei, nachdem schon keinerlei vertragliche Vereinbarung hinsichtlich dieser Lieferung zwischen dem Kunden und dem Grundversorger getroffen wurde.
Als es die Ersatzversorgung noch nicht gab, nannte man die Belieferung im \"vertraglosen Zustand\" Interimsverhältnis und wandte auf deren Entgelte § 315 BGB entsprechend an (vgl. BGH, Urt. v. 02.10.1991 VIII ZR 240/90). Dogmatisch ist kein Grund ersichtlich, die Sache nun anders zu beurteilen, ist doch die Situation vergleichbar, nämlich Belieferung ohne vorherige vertragliche Preisvereinbarung/ Entgeltfindung unter Kontrahierungszwang des Lieferanten.
Wenig zielführend sind solche Beiträge:
--- Zitat ---Hat er Recht?
Ist ein Unbilligkeitseinwand bei Belieferung in der Ersatzversorgung schon deshalb ausgeschlossen?
Hat der Gesetzgeber etwa übersehen, dass der Verbraucher auch dann einen Schutz benötigt, wenn er jemandem per Gesetz ein einseitiges Preisanpassungsrecht zuweist und den Verbraucher dadurch fahrlässig der Gefahr unbegrenzt hoher Forderungen ausgesetzt?
Falls ja, so wären die Schuldigen dafür wohl unter den Intelligenzbestien zu suchen, die das EnWG geklöppelt haben, welches ja das deutlich jüngere Gesetz ist.
--- Ende Zitat ---
Möglicherweise wurde vergessen, wie das EnWG 2005 zustande gekommen ist. Das Kartell- Deutschland im Griff der Energiekonzerne
Was nutzt die Suche nach \"Schuldigen\", wenn man nicht weiß, wie man mit ihnen umgehen soll, wenn man sie denn gefunden hat.
Black:
--- Zitat ---Original von RR-E-ft
Es handelt sich dabei um ein gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht im Sinne von § 315 Abs. 1 BGB, auf welches die gerichtliche Billigkeitskontrolle gem. § 315 Abs. 3 BGB unmittelbare Anwendung findet.
BGH, Urt. v. 19.11.2008 (VIII ZR 138/07) Rn. 26:.
--- Ende Zitat ---
Bei einem gesetzlichen Leistungsbestimmungsrecht innerhalb eines vertraglichen Schuldverhältnisses hat der BGH eine Anwendung des § 315 BGB bejaht. Also bei der Grundversorgung.
Bei der Ersatzversorgung liegt aber gerade kein vertragliches Schuldverhältnis vor. Zur Ersatzversorgung hat der BGH im Urteil v. 19.11.2008 keine Aussage getroffen, insoweit geht ein entsprechendes Zitat fehl.
Auch der Wortlaut des § 315 BGB verlangt ausdrücklich ein Leistungsbestimmungsrecht zwischen Vertragsschließenden. Wer nicht zwischen gesetzlichem Schuldverhältnis und gesetzlichem Leistungsbestimmungsrecht innerhalb eines vertraglichen Schuldverhältnisses unterscheiden kann oder will, dem sei folgende Übersicht empfohlen:
Schuldverhältnis: vertraglich
einseitiges Leistungsbestimmungsrecht: aus Vertrag
§ 315 BGB: anwendbar, Grundfall des § 315
Schuldverhältnis: vertraglich
einseitiges Leistungsbestimmungsrecht: aus Gesetz
§ 315 BGB: anwendbar nach BGH, energierechtlich der Standartfall
Schuldverhältnis: gesetzlich
einseitiges Leistungsbestimmungsrecht: aus Gesetz
§ 315 BGB: keine Anwendbarkeit, keine BGH Entscheidung dazu
RR-E-ft:
@Black
Dass innerhalb der Ersatzversorgung dem gesetzlich versorgungspflichtigem Grundversorger ein gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB zusteht, steht wohl außer Zweifel.
Nur deshalb kann der Grundversorger die Allgemeinen Preise der Ersatzversorgung überhaupt durch öffentliche Bekanntgabe einseitig festsetzen und ändern. Sonst fehlte ihm die entsprechende Befugnis dazu und man müsste wie bereits zuvor bei den Interimsverhältnissen weiter auf eine entsprechende Anwendung der §§ 316, 315 BGB zurückgreifen (vgl. BGH, Urt. v. 02.10.1991 Az. VIII ZR 240/90 = NJW-RR 1992, 183).
Dass auf ein solches gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht § 315 BGB unmittelbare Anwendung findet, wurde mehrfach entschieden. Darauf bezog sich das Zitat.
In der Entscheidung vom 13.06.2007 (VIII ZR 36/06) Rn. 14 f. heißt es dazu zum Beispiel:
--- Zitat ---Ein Leistungsbestimmungsrecht im Sinne von § 315 Abs. 1 BGB kann einer Vertragspartei nicht nur durch vertragliche Vereinbarung, sondern auch durch Gesetz eingeräumt werden (BGHZ 126, 109, 120 zu § 12 Abs. 3 Gesetz über Arbeitnehmererfindungen; Palandt/Grüneberg, BGB, 66. Aufl., § 315 Rdnr. 4; Soergel/Wolf, BGB, 12. Aufl., § 315 Rdnr. 29; Bamberger/ Roth/Gehrlein, BGB, 2003, § 315 Rdnr. 3; Staudinger/Rieble, BGB (2004), § 315 Rdnr. 255; Erman/Hager, BGB, 11. Aufl., § 315 Rdnr. 10).
So verhält es sich hier. Die Beklagte hat als Energieversorgungsunternehmen, das die allgemeine Versorgung von Letztverbrauchern durchführt, allgemeine Tarife für die Versorgung in Niederdruck öffentlich bekannt zu geben und zu diesen Tarifen jedermann an ihr Netz anzuschließen und zu versorgen, [§ 10 Abs. 1 des hier anwendbaren Energiewirtschaftsgesetzes vom 24. April 1998, BGBl. I S. 730, EnWG 1998].
--- Ende Zitat ---
In der Entscheidung vom 03.04.2008 (KZR 29/06) Rn. 20 f. heißt es dazu zum Besipiel:
--- Zitat ---Ebenso wie der Gesetzgeber den Energieversorgern, die nach § 10 EnWG 1998 allgemeine, d.h. für jedermann geltende Tarife aufzustellen haben, hierdurch ein gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt hat (BGH NJW 2007, 2540 Tz. 17), ist damit den Netzbetreibern, die allein über die für die Bestimmung des zulässigen Preises erforderlichen tatsächlichen Kenntnisse verfügen, das Recht gegeben worden, unter Beachtung der Vorgaben des Energiewirtschaftsgesetzes und gegebenenfalls der durch Rechtsverordnung konkretisierten Kriterien allgemeine Entgelte für die Netznutzung zu bilden.
Die energiewirtschaftsrechtlichen Kriterien für das zulässige Netznutzungsentgelt stehen damit, wie der Senat bereits entschieden hat (BGHZ 164, 336, 341 – Stromnetznutzungsentgelt I; BGH WuW/E DE-R 1730, 1731 f. – Stromnetznutzungsentgelt II), einem Verständnis der Preisbestimmung als Bestimmung des billigen Entgelts im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB nicht entgegen. Der Maßstab der Billigkeit und Angemessenheit ist lediglich kein individueller, sondern muss aus der typischen Interessenlage des Netznutzungsverhältnisses und den für dessen Ausgestaltung maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben gewonnen werden (vgl. BGHZ 115, 311, 317 ff.; BGH NJW 2007, 2540 Tz. 17).
--- Ende Zitat ---
Klar ist demnach, dass § 315 BGB ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB erfordert, welches sich nicht nur aus vertraglicher Vereinbarung, sondern auch aus einem Gesetz ergeben kann.
Mir ist noch keine Entscheidung des BGH bekannt geworden, welche die Ersatzversorgung gem. § 38 EnWG betrifft.
Black:
In der Ersatzversorgung mag ein gesetzliches einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Versorgers bestehen. Es handelt sich aber nicht um ein Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 BGB.
Der § 315 BGB selbst gewährt kein Leistungsbestimmungsrecht, sondern regelt nur die Rechtsfolge wenn ein solches Leistungsbestimmungsrecht in einem Vertragsverhältnis besteht.
die Prüfungsreihenfolge für § 315 BGB sieht nämlich so aus:
1. vertragliches Schuldverhältnis?
2. vertraglich vereinbartes oder gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht?
3. Billigkeit der getroffenen Leistungsbestimmung?
Im Rahmen der Grundversorgung gilt:
1. vertragliches Schuldverhältnis? (+)
2. vertraglich vereinbartes oder gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht? (+)
3. Billigkeit der getroffenen Leistungsbestimmung?
Bei der Ersatzversorgung aber:
1. vertragliches Schuldverhältnis? (-)
2. (...)
Einseitige Leistungsbestimmungsrechte außerhalb vertraglicher Schuldverhältnisse sind vom § 315 BGB nicht umfasst.
jofri46:
Nimmt die Diskussion hier nun nicht etwas sophistische Züge an?
Wie wär\'s mit den §§ 241, 242 BGB (die gehen doch fast immer) und analog dazu § 315 BGB?
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