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Autor Thema: Stadtwerke kündigen den unzufriedenen Kunden  (Gelesen 6096 mal)

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Offline RR-E-ft

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Stadtwerke kündigen den unzufriedenen Kunden
« Antwort #1 am: 24. Februar 2008, 22:49:41 »
Die Stadtwerke Gießen (SWG) haben Preiserhöhungs-Zahlungsverweigeren (sprich unzufriedenen Kunden) die Stromversorgung gekündigt.

Presseauszug:
„Die Stadtwerke Gießen (SWG) haben Mitte des Monats Januar 2008 alle Kunden angeschrieben, die Widerspruch gegen die jüngsten Gas- und Strompreiserhöhungen eingelegt oder die Rechnungen nicht vollständig bezahlt haben. Dies bestätigte die Pressesprecherin der SWG, Ina Weller, auf Anfrage. Während diejenigen, die Widerspruch eingelegt haben, aufgefordert werden, diesen zurückzunehmen, wird säumigen Zahlern eine Frist bis zum 4. Februar gesetzt. Für den Fall, dass die offenen Beträge bis zu diesem Zeitpunkt nicht gezahlt würden, drohen die Stadtwerke rechtliche Schritte an.

Das Unternehmen begründet sein Vorgehen damit, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) auf dem Strommarkt ausreichend Wettbewerb herrscht, so dass Kunden bei der Annahme überhöhter Preise den Anbieter wechseln könnten. Beim Gaspreis habe der BGH Mitte 2007 geurteilt, dass es genüge, wenn die Versorgungsunternehmen nachweisen, dass sie nur gestiegene Beschaffungspreise an die Endverbraucher weiterreichen. Genau dies hätten die Stadtwerke mit dem Gutachten eines Wirtschaftsprüfers getan. Etwa 500 von rund 110000 Kunden der SWG hätten Widerspruch eingelegt, 70 davon einen Teil der Rechnungen nicht bezahlt, so Weller.

Die Stadtwerke Gießen verschärfen die Gangart gegen Stromkunden, die ihre Rechnungen um die Beträge der letzten Preiserhöhungen gekürzt haben. Zwischen 30 und 40 dieser Kunden ist in den vergangenen Tagen ein Kündigungsschreiben ins Haus geflattert.

Begründet hätten die Stadtwerke die Kündigung mit dem Argument, dass die Kunden mit den Leistungen unseres Hauses nicht mehr zufrieden seien.
Die Reaktion der Stadtwerke hält Pressesprecherin Ina Weller für ein am Markt orientiertes Unternehmen für ganz normal: \"Wenn jemand mit uns ganz und gar nicht zufrieden ist, ist es naheliegend, das Vertragsverhältnis aufzulösen.\" Von Seiten der Stadtwerke werde alles getan, um die Preise so niedrig wie möglich zu halten, so Weller weiter. ………..“

Ist die Kündigung der Stromversorgung überhaupt möglich? Wie ist die Rechtslage?

Bei der Gasversorgung sollte man sich nicht ins Bockshorn jagen lassen.
Das Landgericht Dortmund hat in einem Musterverfahren mit Urteil vom 18.01.2008 die Rechte der Verbraucher gestärkt und das BGH Urteil vom 13.06.2007 auf seine Weise gedeutet.
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/dortmund/lg_dortmund/j2008/6_O_341_06urteil20080118.html

Oder PR-E-ft: Mit des Hinweisbeschlusses des Kammergerichts Berlin vom 12.02.2008 sollte eine Offenlegung der jeweiligen Preiskalkulationen vor und nach den Erhöhungen, zurück bis zur vorherigen Preisneufestsetzung gefordert werden.

Oder : ZFK 11/07 – Nicht alle Fragen sind schon geklärt. Die BGH-Urteile sind nicht so eindeutig wie von der Branche gewünscht.
http://www.energienetz.de/files.php?dl_mg_id=962&file=dl_mg_1199985615.pdf

STROMVERSORGUNG: Das Vorgehen der SWG färbt evtl. auch auf die im Umfeld tätigen EVU`s  wie enwag und eon-mitte ab, so dass mit der Zeit mehr Strom-Rebellen betroffen sein könnten. Und hier könnte man unter Umständen auf Glatteis landen.

URTEIL Bundesgerichtshof vom 28. März 2007 - Az: VIII ZR 144/06
§ 315 BGB ist nicht analog auf den Strommarkt anwendbar, weil der Beklagte nicht auf die Belieferung durch den Stromversorger angewiesen ist, so dass keine Monopolstellung des Versorgers besteht. Urteil:
http://www.energieverbraucher.de/files.php?dl_mg_id=858&file=dl_mg_1178649853.pdf

BGB § 315; AVBEltV § 4; EnWG § 10
a) § 315 BGB findet auf den anfänglich vereinbarten Strompreis auch dann keine unmittelbare Anwendung, wenn der Vertrag keine betragsmäßige Festlegung des geltenden Tarifs enthält, sondern sich die Preise für die Stromlieferungen aus den jeweiligen allge-meinen Tarifen für die Versorgung mit Elektrizität in Niederspannung ergeben (Abgrenzung zu BGHZ 164, 336 ff.).
b) Eine Strompreiskontrolle in entsprechender Anwendung des § 315 BGB scheidet aus, wenn der Stromkunde die Möglichkeit hat, Strom von einem anderen Anbieter seiner Wahl zu beziehen.
BGH, Urteil vom 28. März 2007 - VIII ZR 144/06 - LG Potsdam ,AG Potsdam

Die Stromgrundversorgungsverordnung – SromGVV ist ja nun nicht gerade verbrauche-freundlich gestrickt. Nach § 19 (2) ist eine Unterbrechung der Versorgung möglich, wenn der Kunde mit Zahlungsverpflichtungen von mindestens 100 € in Verzug ist.

Warum Ina Weller (SWG) auf „unzufriedene Kunden“ abhebt, ist mir daher nicht verständlich.

Was nun? Beim Strom doch noch nachzahlen oder abwarten???????????

 

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