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Autor Thema: EuGH, Urt. v. 23.10.14 Rs. C-359/11 und C-400/11 Preisänderung Grundversorgung  (Gelesen 23392 mal)

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Offline RR-E-ft

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Die Schlussanträge des Generalanwalts Wahl vom 08.05.14 zu den EuGH Rechtssachen C-359/11 und C-400/11 sind veröffentlicht:

http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=151971&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=454302

Zitat
  Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Bundesgerichtshof vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

Bei richtiger Auslegung von Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG und von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG ist den in diesen Bestimmungen niedergelegten Anforderungen an das erforderliche Maß an Transparenz nicht Genüge getan, wenn nach einer nationalen gesetzlichen Regelung über Preisänderungen in den Fällen, in denen Haushaltskunden im Rahmen eines Grundversorgungsvertrags mit Strom oder Gas beliefert werden, die Versorgungsunternehmen nicht verpflichtet sind, dem Kunden Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung spätestens dann offenzulegen, wenn dem Kunden die Änderung mitgeteilt wird.

Die Auslegung der vorgenannten Bestimmungen entfaltet erst an dem Tag Wirkungen, an dem der Gerichtshof sein Urteil in den vorliegenden Rechtssachen verkündet.
« Letzte Änderung: 23. Oktober 2014, 11:41:25 von RR-E-ft »

Offline tangocharly

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Auf die Schnelle:

(1) Der gute Glaube:

- Versorger haben über die Jahre im guten Glauben Verbrauchern Preisänderungen abverlangt. Darin müssen diese geschützt werden ?

- Verbraucher haben über Jahre im guten Glauben Versorgern Entgelte gezahlt, die nicht geschuldet wurden (§ 315 III 1 BGB). Darin müssen diese - dank der Anfangspreis-/Sockelpreis Rechtsprechung des VIII. Senats - nicht geschützt werden ?



(2) Die Anfangspreis-/Sockelpreis Rechtsprechung des VIII. Senats.
.... wurde vom Generalanwalt Wahl mit keiner Silbe erwähnt.

Die Rspr. des VIII. Senats ist dem GA augenscheinlich bekannt; ergo auch die Anfangspreis-/Sockelpreis Rechtsprechung des VIII. Senats.

Weil die Versorgungswirtschaft (und mit ihr die Bundesregierung) eine Klagewelle fürchtet, diese Welle existenzielle Auswirkungen haben könnte, soll die Auslegung durch den EuGH befristet werden.

Diese Befristung sei auch nötig, trotz der ständigen Rspr. des VIII. Senats in der Verjährungsfrage.

Damit ist also offensichtlich nur die existenzbedrohende Wirkung einer Klagewelle unverjährter Ansprüche gemeint.

Da dies aber nach der Anfangspreis-/Sockelpreis Rechtsprechung des VIII. Senats nur für ein paar querulatorische Zeitgenossen gilt, die rechtzeitig Widerspruch gegen die Preisanpassungen erhoben haben, könnte dies auch keinen Existenz bedrohlichen Charakter haben.

Bleibt es also bei der  Anfangspreis-/Sockelpreis Rechtsprechung des VIII. Senats, dann ist auch für eine Befristung der zu erwartenden Entscheidung des EuGH kein Grund ersichtlich !

Schönes WE - und viel Spass beim Kaffee-Satz-Lesen ....
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Offline RR-E-ft

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@tangocharly

Die von den Versorgern zu besorgenden  Rückforderungsanpsrüche der Kunden könnten durchaus größeren Umfang haben:

Der Generalanwalt unterstellt, dass die Versorger in gutem Glauben an die Wirksamkeit der gesetzlichen Regelung der § 4 AVBEltV/ AVBGasV bzw. § 5 StromGVV/GasGVV die Allgemeinen Tarife bzw. Allgemeine Preise der Grund- und Ersatzversorgung einseitig geändert hatten. Zweifel an der Wirksamkeit mussten sie womöglich erst haben, als der BGH entsprechende Zweifel zum Anlass für die Vorlagenbeschlüsse nahm.

Eine vollkommen andere Frage ist es, ob - die wirksam gesetzlich eingeräumte Befugnis zur einseitigen Leistungsbestimmung vorausgesetzt- die auf dieser Grundlage vorgenommenen einseitigen Leistungsbestimmungen der Versorger der Billigkeit entsprachen (§ 315 Abs. 3 BGB). Für eine Billigkeitskontrolle soll es laut BGH auf einen rechtzeitigen Widerspruch ankommen.

Wurde mit den betroffenen gesetzlichen Regelungen jedoch den Versorgern ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht schon nicht wirksam eingeräumt, so soll es auch laut BGH  weder auf einen Widerspruch des Kunden noch auf die Billigkeit ankommen (vgl. BGH, B. v. 29.06.11 Az. VIII ZR 211/10, juris Tz. 8 f.).

Sockelpreis wäre deshalb bei Unwirksamkeit der gesetzlichen Regelungen zum Preisänderungsrecht  der Preis, der bei Begründung des Vertragsverhältnisses im Rahmen der gesetzlichen Versorgungspflicht laut BGH  als vereinbart gelten kann bzw. bei vor 2004 begründeten Vertragsverhältnissen der Preis, der zuletzt im Jahre 2004 vor dem Zeitpunkt als vereinbart galt, als die EU- Richtlinien, welche nunmehr die Unwirksamkeit der gesetzlichen Regelungen zur Folge haben, spätestens in deutsches Recht umzusetzen waren.

Nach Auffassung des Generalanwalts erscheint wohl nicht völlig ausgeschlossen, dass im Falle der Unkenntnis der Kunden von der Unwirksamkeit der gesetzlichen Regelungen und deshalb von der Unwirksamkeit der in der Vergangenheit vorgenommenen Preisänderungen resultierende Rückforderungsansprüche der Kunden  gem. § 199 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 BGB erst nach zehn Jahren verjähren können, mit der für die Energieversorgungswirtschaft überaus misslichen Folge, dass selbst im Jahre 2004 infolge der Unwirksamkeit der gesetzlichen Regelungen und mithin Unwirksamkeit der vorgenommenen Preisänderungen entstandene Rückforderungsansprüche bisher noch nicht verjähren konnten.

Die betroffenen Kunden konnten wohl frühestens mit den Vorlagebeschlüssen des BGH aus dem Jahre 2011 Zweifel an der Wirksamkeit der gesetzlichen Regelungen und somit der auf ihrer Grundlage vorgenommenen Preisänderungen und mithin von solchen Umständen haben, auf denen die entsprechenden Rückforderungsansprüche gründen.

Dies könnte also bisher unverjährte  Rückforderungsansprüche der betroffenen (durchgängig grundversorgten) Kunden bis zurück in das Jahr 2004 auf der Grundlage von Preisen aus dem Jahr 2004 zur Folge haben.

Deshalb spricht sich der Generalanwalt für die ausnahmsweise zeitliche Befristung der rechtlichen Wirkung der Entscheidung aus.

Die Binnenmarktrichtlinien verlangen, wie auch der Generalanwalt ausführt, eine gesetzliche Versorgungspflicht gegenüber Haushaltskunden zu angemessenen Preisen. Angemessene Preise werden dabei nicht zwingend bereits dadurch sichergestellt, dass nachfolgende Preisänderungen angemessen und transparent erfolgen, wenn der gebildete Gesamtpreis unangmessen hoch ist, weil er schon zuvor unangemessen hoch war.  Der BGH versagt bisher eine Kontrolle der im Rahmen der Versorgungspflicht angebotenen Preise auf ihre Angemessenheit (hierzu umfassend schon  Fricke, ZNER 2011,  130 ff.).

Zumindest bis zur rechtlichen Marktliberalisierung mit Inkrafttreten des EnWG 1998 handelte es sich bei den seinerzeitigen Gebietsversorgern um Monopolisten.
Diese setzten regelmäßig Monopolpreise. Monopolpreise liegen regelmäßig über den Preisen, die sich bei wirksamen Wettbewerb einstellen. Sie enthalten regelmäßig einen unangemessen honhen Gewinnateil, der die sog. Monopolrente ausmacht. Soweit der VIII.Zivilsenat des BGH für die Billigkeitskontrolle von Preisänderungen auf der Grundlage von § 4 AVBV postulierte, dass dabei immer das bisher bestehende vertragliche Äquivalenzverhältnis zu wahren sei, wurden folglich immer weiter  über den Wettbewerbspreisen liegende Monopolpreise fortgeschrieben, wenn die Versorger durchgängig so verfahren sind und nur das in Monopolzeiten begründete Äquivalenzverhältnis immer fortgeschrieben haben. Hierdurch würden weiter die einstigen Monopolrenten realisiert. Solche stehen jedoch im Widerspruch zur gesetzlichen Verpflichtung aus §§ 1, 2 EnWG zu einer möglichst preisgünstigen leitungsgebundenen Energieversorgung mit Elektrizität und Gas.   

Diese Problematik (Ausschluss der Kontrolle der Angemessenheit der im Rahmen einer gesetzlichen Versorgungspflicht angebotenen Preise durch die Sockelpreisrechtsprechung des BGH) ist indes nicht Gegenstand der Fragestellung aus den Vorlagenfragen des BGH, über die der EuGH vorliegend nur zu entscheiden hat und über welche er deshalb  nur entscheiden kann.   

 
« Letzte Änderung: 09. Mai 2014, 22:06:33 von RR-E-ft »

Offline RR-E-ft

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Offline energienetz

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Prof. Dr. Kurt Markert
Kurzstellungnahme zu den Schlussanträgen des Generalanwalts (GA) Wahl in den EuGH-Sachen C-359/11 und C-400/11 betr. das Preisbestimmungsrecht der Versorger von Tarif- und Grundversorgungskunden

Die Schlussanträge weichen sowohl in der materiellrechtlichen Beurteilung als auch in der Frage der zeitlichen Begrenzung der Entscheidungswirkung vom Urteil des EuGH vom 21.3.2013, C–92/11 – RWE Vertrieb, diametral ab, was für mich in beiden Punkten schon ein erstaunliches Beispiel juristischer Argumentationskunst ist. Bei seinem materiellrechtlichen Ergebnis, wonach anders als bei den Sonderkundenverträgen die nach den Binnenmarktrichtlinien erforderliche Transparenz über Anlass und Modus möglicher einseitiger Preisänderungen für  die Tarif- bzw. Grundversorgungskunden nicht schon bei Vertragsabschluss hergestellt werden muss, sondern erst zeitgleich mit der jeweiligen Preiserhöhung, räumt GA Wahl (Rn. 64) selbst ein, dass damit diese Kunden schlechter geschützt werden als Sonderkunden, obwohl sie im Vergleich zu diesen Kunden in einer schwächeren Position gegenüber den Versorgern und damit in stärkerem Maße schutzbedürftig seien. Seine Begründung, der Unionsgesetzgeber habe das so gewollt, ist jedoch nicht stichhaltig. GA Wahl selbst zitiert in Rn. 7 den Anhang A der Binnenmarktrichtlinien, wo es heißt, dass die Lieferbedingungen „im Voraus“ dem Verbraucher bekannt sein müssen, was ganz offensichtlich vor Vertragsabschluss bedeutet. Dem nach Art. 3 dieser Richtlinien von den Mitgliedstaaten zu gewährleistenden „hohen Verbraucherschutz“ mit einem „angemessenen Schutz“ für die „besonders schutzbedürftigen Kunden“ würde es diametral widersprechen, wenn ausgerechnet die auch nach GA Wahl am schutzbedürftigsten Tarif- bzw. Grundversorgungskunden in der Transparenzfrage erheblich schlechter gestellt würden als die weniger schutzbedürftigen Sonderkunden. Auch die von GA Wahl betonte Versorgungspflicht gegenüber Grundversorgungskunden nach § 36 Abs. 1 EWG kann dies nicht rechtfertigen, denn diese steht, was GA Wahl unerwähnt lässt, unter dem Vorbehalt des aus wirtschaftlichen Gründen Zumutbaren. Damit ist dem Rentabilitätsinteresse des Versorgers hinreichend Rechnung getragen. Eines darüber hinausgehenden Schutzes durch Reduktion des Transparenzschutzes ausgerechnet der schwächsten Verbraucher in der Tarifkunden- bzw. Grundversorgung bedarf es daher nicht. Die von GA Wahl für diese Verbraucher in seinem Vorschlag (Rn. 78) als ausreichend angesehene Information über Anlass, Voraussetzungen und Umfang von Preiserhöhungen erst mit der Bekanntgabe der einzelnen Erhöhungen macht auch schon deshalb nur begrenzt Sinn, weil für diese Kunden jedenfalls der Umfang der jeweiligen Erhöhung ohnehin bereits aus deren Bekanntgabe ersichtlich ist. Ihren vollständigen Sinn kann die Information des Kunden über Anlass. Voraussetzungen und Umfang von Preiserhöhungen nur dann erfüllen, wenn wie im Falle der Sonderkunden auch für die Tarif- bzw. Grundversorgungskunden schon vor ihrer Entscheidung über den Vertragsabschluß mit einem Versorger Klarheit besteht, mit welchen Modalitäten sie mit dem Vertragsabschluss auch ein einseitiges Preiserhöhungsrecht des Versorgers akzeptieren.

Im Widerspruch zu dem EuGH-Urteil vom 21.3.2013 steht auch die Position von GA Wahl in der Frage des Wirksamkeitszeitpunkts der zu treffenden EuGH-Entscheidung. Seine Begründung für das auch in dieser Frage von diesem Urteil abweichende Ergebnis in Rn. 72, dass es sich hier anders als bei jenem Urteil um eine Entscheidung des EuGH über die Vereinbarkeit der relevanten Bestimmungen des deutschen Rechts mit dem Unionsrecht handele, ist schlicht falsch. Dies folgt schon aus den Vorlagefragen des BGH, in denen nur um eine Auslegung der Art. 3 Abs. 3 bzw. 5 der Binnenmarktrichtlinien Strom bzw. Erdgas in Verbindung mit deren Anhang A Buchst. b und c ersucht wird. Der EuGH kann aus Rechtsgründen im Vorlageverfahren Art. 267 AEUV immer nur über die Auslegung von Unionsrecht entscheiden, die dann allerdings für die Gerichte der Mitgliedstaaten bindend ist. Ob die für die Vorlage Anlass gebenden nationalen Vorschriften mit dem Auslegungsergebnis vereinbar sind und welche Rechtsfolgen sich im Falle ihrer Unvereinbarkeit ergeben, ist allein Sache des vorlegenden nationalen Gerichts, also hier des BGH. Insofern besteht in den beiden aktuellen Fällen keinerlei Unterschied zu dem vom EuGH mit Urteil vom 21.3.2013 entschiedenen RWE-Fall. Dort (Rn. 61 f.) hat der EuGH ausgeführt, über die finanziellen Folgen seiner Entscheidung könne nicht allein auf der Grundlage der im Rahmen der vorliegenden Rechtssache vorgenommenen Auslegung des Unionsrechts entschieden werden. Das Bestehen einer Gefahr schwerwiegender Störungen, die eine zeitliche Begrenzung der Wirkungen seines Urteils rechtfertigen könnte, könne deshalb nicht als erwiesen angesehen werden. Es ist nicht einzusehen, weshalb das, was nach diesem Urteil für mögliche finanzielle Auswirkungen des Auslegungsergebnisses des EuGH für die Versorger von Sonderkunden gilt, nicht auch für die Versorger von Tarif- bzw. Grundversorgungskunden gelten soll. Das mögliche Gesamtvolumen dieser Auswirkungen ist vermutlich in diesem Fall sogar eher geringer. Wenn GA Wahl (Rn. 74, Fn. 48) in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass für Rückforderungsansprüche von Tarif- bzw. Grundversorgungskunden möglicherweise nicht die für entsprechende Ansprüche von Sonderkunden geltende dreijährige Regelverjährung, sondern die zehnjährige Verjährung gilt, ist dem entgegenzuhalten, dass es in der bisherigen Rechtsprechung des BGH und der Instanzgerichte keine Anhaltspunkte für diese Unterscheidung gibt. Es ist auch nicht ersichtlich, wie sie überzeugend begründet werden könnte. Schließlich lässt sich entgegen GA Wahl (Rn. 76) auch die erforderliche Gutgläubigkeit der betroffenen Versorger nicht annehmen. Denn schon mit den Vorlagen des BGH, aber in jedenfalls seit dem EuGH-Urteil vom 21.3.2013, konnte niemand mehr ernsthaft darauf vertrauen, dass für das Preisbestimmungsrecht der Versorger von Tarif- bzw. Grundversorgungskunden nach den Binnenmarktrichtlinien Strom und Gas geringere Transparenzanforderungen gelten könnten als für das entsprechende Recht der Versorger von Sonderkunden.

Das Verfahren beim EuGH sieht wohl ein Recht der Prozessparteien zur Stellungnahme zu den Schlussanträgen des Generalanwalts nicht vor. Man kann deshalb nur hoffen, dass der EuGH die Widersprüche in der Argumentation des GA Wahl zum RWE-Urteil vom 21.3.2013 und zu anderen EuGH-Urteilen sieht und der neutralen und ausgewogenen Stellungnahme der EU-Kommission entsprechend entscheidet.



Offline RR-E-ft

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Auch m.E. gibt es zwischen Grundversorgung und Sonderverträgen einen Unterschied:

Bei Sonderverträgen geht es um transparente Preisänderungsklauseln, welche die Wahrung des ursprünglich vertraglich vereinbarten Äquivalenzverhältnisses sicherstellen sollen.

Bei der Grundversorgung darf es m.E. (entgegen BGH, Urt. v.19.11.08 Az. VIII ZR 138/07, juris Tz. 25) nicht um die Wahrung eines bisherigen Äquivalenzverhältnisses gehen, wenn dieses bereits deshalb unangemessen war, weil es einen unzulässig hohen Gewinnanteil des Versorgers enthielt.

Die gesetzliche Preisbestimmungspflicht der Grundversorger gem. §§ 36 Abs. 1, 2 Abs. 1, 1 Abs. 1  EnWG geht m.E. vielmehr  dahin, zugunsten der besonders zu schützenden Kleinkunden jeweils  denjenigen angemessenen Preis zu bestimmen, der ihnen tatsächlich eine möglichst preisgünstige Versorgung gewährleistet (vgl. Fricke ZNER 2011, 130 ff.).

War der bisher vom Grundversorger festgesetzte und veröffentlichte Grundversorgungstarif schon unangemessen hoch, weil er einen unangemessen hohen Gewinnanteil enthielt, so muss ein neues Äquivalenzverhältnis gebildet werden, welches für den Grundversorger fortan nur noch einen angemessenen Gewinnanteil am veröffentlichten Preis enthält.

Bei Sonderverträgen herrscht Vertragsfreiheit und die Parteien können den Anfangspreis im Rahmen der Gesetze m.E. so hoch vereinbaren, wie sie wollen, was hochpreisige Markenstrategien miteinschließen kann. Bei der Grundversorgung ist es grundlegend anders:

Der vom Versorger zu bestimmende Allgemeine Preis muss den betroffenen Kunden von Anfang an eine möglichst preisgünstige Versorgung gewährleisten.

Während Sonderverträge grundsätzlich auch ohne Preisänderungsklauseln ausklommen können, so dass man es mit Fixpreisverträgen zu tun hat, bei welchen Chancen und Risiken gleich verteilt sein können, sind die Versorger bei der Grundversorgung  gem. §§ 36 Abs. 1, 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG verpflichtet, die Allgemeinen Preise immer wieder neu jeweils zu bestimmen, so dass sie den betroffenen Kunden tatsächlich von Anfang an eine möglichst preisgünstige Versorgung gewährleisten.

Offline tangocharly

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@ RR-E-ft

Irgendwie scheint die folgende Zitatstelle nicht richtig zu passen:

Zitat
Wurde mit den betroffenen gesetzlichen Regelungen jedoch den Versorgern ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht schon nicht wirksam eingeräumt, so soll es auch laut BGH  weder auf einen Widerspruch des Kunden noch auf die Billigkeit ankommen (vgl. BGH, B. v. 29.06.11 Az. VIII ZR 211/10, juris Tz. 8 f.)


Vermutlich meinten Sie:

BGH, 23.04.2013, Az.: VIII ZR 324/12, Tz. 7

Übrigens (so Az.: VIII ZR 211/10, Tz. 20) wären durchaus auch die "geltenden Preise u. Tarife" auf die Transparenzanforderungen des Anhangs A Buchst. c zu prüfen (was allerdings nicht Gegenstand des Verfahrens C-359/11 ist).  Wenn aber die  Transparenzanforderungen für Preisanpassungen schon zweifelhaft sind (nach GA Wahl), dann kommt doch schon die Frage auf, wie bei einem durch Realakt begründeten Vertragsschluss Transparenz (von hinein fließenden Vertragsbedingungen) attestiert werden soll, welche keiner kennt und niemand gelesen hat.
Aber das stellt ja auch -teilweise- eine andere Platte dar; wo man dem Sonderkunden gibt (§ 305 BGB) und dem Tarifkunden nimmt bzw. Letzteren auf fiktive Vereinbarungen einschwört
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Offline RR-E-ft

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@tangocharly

Aus Tz. 8 bei BGH, B. v. 29.06.11 Az. VIII ZR 211/10 geht hervor, weshalb das Berufungsgericht selbst bei einer Monopolstellung des Energieversorgers eine Billigkeitskontrolle für ausgeschlossen hielt: Die einseitig erhöhten Preise seien dadurch, dass innerhalb angemessener Frist ein Widerspruch unterblieb, längstens zu vereinbarten Preisen geworden.

Demgegenüber stellt der BGH in Tz. 9 ff. aaO. klar, dass die Frage, ob dem Energieversorger ein einseitiges Preisanpassungsrecht überhaupt wirksam eingeräumt wurde, streitentscheidend ist.

Streitentscheidend kann es darauf jedoch nur dann ankommen, wenn es bei Unwirksamkeit des Preisanpassungsrechts des Versorgers  auf einen innerhalb angemessener Frist eingelegten Widerspruch des Kunden streitentscheidend nicht erst ankommt.

Aus Tz. 17 geht hervor, dass dann, wenn dem Energieversorger gesetzlich oder vertraglich ein einseitiges Preisanpassungsrecht [wirksam!] eingeräumt wurde, eine auf dieser Grundlage vorgenommene einseitige Preiserhöhung der Billigkeitskontrolle als einseitige Leistungsbestimmung der gerichtlichen Billigkeitskontrolle gem. § 315 Abs. 3 BGB unterliegt, sofern und soweit es sich nicht um vereinbarte Preise handelt.

Im Umkehrschluss bedeutet dies:

Wurde dem Energieversorger ein Preisanpassungsrecht nicht [wirksam!] eingeräumt, nämlich weil sich die entsprechende gesetzliche Bestimmung oder vertragliche Abrede als unwirksam erweist, so kommt es auf die Frage der Billigkeit der vom Versorger vorgenommenen einseitigen Leistungsbestimmung (nach Lesart BGH: Preisänderung, Preiserhöhung) nicht erst an.

Ebenso, wie es in diesem Fall grundsätzlich nicht auf einen Widerspruch gegen die ohne Rechtsgrundlage vorgenommene einseitige Leistungsbestimmung ankommt ( siehe oben; vgl. auch BGH, Urt. v. 20.07.05 Az. VIII ZR 199/04).   
« Letzte Änderung: 21. Mai 2014, 21:45:33 von RR-E-ft »

Offline uwes

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Prof. Dr. Kurt Markert
....und der neutralen und ausgewogenen Stellungnahme der EU-Kommission entsprechend entscheidet.

Kennt diese Stellungnahme jemand? Ich würde diese gerne lesen. Auf der Seite des Gerichtshofs ist aktuell nur die Begründung des GA für seine Schlussanträge zu finden.
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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Offline energienetz

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Offline tangocharly

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Bemerkenswert, dass die Kommission die Befristungsfrage nicht diskutiert. Andererseits wiederum konsequent, wenn die Kommission beide Anwendungsfälle auf der gleichen Linie sieht (was den Verbraucherschutz anlangt). Beim Sondervertrag hat sich der EuGH (RS C-92/11) zur Befristung nicht entschlossen. Ganz egal kann dann aber der Kommission diese Frage wiederum auch nicht gewesen sein. Widerstand gegen eine Unbefristung hatte sich ja während der Verhandlung wohl seinerzeit schon erhoben.
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Offline energienetz

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Eine ausführlichere Stellungnahme von Prof Markert zum Schlussantrag von GA Wahl ist jetzt in ZNER 2014 S. 255 f. veröffentlicht.
Bei Interesse bitte Mail an mich: info@aribertpeters.de

Offline uwes

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In der Tat ist die Stellungnahme von Prof. Markert interessant. Es scheint, als ob sich der GA Wahl weder intensiv mit dem geltenden Deutschen Recht als auch dem deutschen Schrifttum befasst hat oder befassen wollte.
Prof. Markert stellt nach meiner Auffassung richtig und deutlich dar, dass der Tarifkunde nicht schlechter gestellt werden soll als der Tarifkunde und dass die Begründung hierzu, die GA Wahl heranzieht, wonach der in den Binnenmarktrichtlinien 2003/54/EG (Strom) und 2003/55/EG (Erdgas) normierte "hohe Verbraucherschutz" sogar noch hinter den Transparenzanforderungen der RL 93/13 zurückbleiben soll, nicht überzeugt.

Dr. Nils Wahl ist Schwede und Doktor der Rechte der Universität Stockholm (1995); beigeordneter Professor und Inhaber des Jean-Monnet-Lehrstuhls für Europarecht (1995); Professor für Europarecht, Universität Stockholm (2001); Verwaltungsdirektor einer Bildungsstiftung (1993-2004); aber auch Richter am Gericht vom 7. Oktober 2006 bis 28. November 2012 gewesen. Generalanwalt beim Gerichtshof ist er seit dem 28. November 2012.

Ich glaube, dass seine Einschätzung, wonach das Versorgungsunternehmen gegenüber Tarifkunden andere, ungünstigere Konditionen fordern kann als von den Sondervertragskunden bei denen im Ergebnis die Preise und deren Änderungsmöglichkeiten schon bei Vertragsschluss vereinbart und dem Kunden ersichtlich sein müssen, national an den §§ 29 Abs. 1 und 19 Abs. 2 Nr. 3 GWB scheitern muss, weil ein sachlicher Grund für diese Ungleichbehandlung nicht erkennbar ist. Daher macht es meiner Meinung nach wenig Sinn, wenn der Gerichtshof nach Auffassung von GA Wahl die Auffassung vertreten soll, dass Anlass und Modus der jeweiligen Preisänderungen beim Tarifkunden erst spätestens mit der Bekantgabe und nicht schon beim Vertragsabschluss gewährleistet sein müssten.

Deswegen ist Herrn Wahl natürlich anzuraten, sich mit dem deutschen Recht einmal zu befassen.
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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Offline tangocharly

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Wer wie hier, im Rahmen der Grundversorgung, den Vertragsschluss per Realakt konstruiert und dieses Institut beibehalten will, der muss dann, wenn beim Vertragsschluss die Transparenzvorgaben der RiLi 2003/54 u. 55 schon eingehalten werden müssen, die Frage beantworten, wie diese Vorgaben durch die Leitungen zum Verbraucher gelangen sollen, wenn er den Stecker in die Dose steckt oder den Hahn aufdreht.

Dass hierbei der Letztverbraucher schon per se schlechter behandelt wird, als der Sondervertragskunde, ist offenkundig. Denn dem Leitbild des § 305 Abs. 2 BGB könnte es einerseits ebenso wenig entsprechen, wenn die nachträgliche Bekanntgabe der Transparenzvorgaben per Post an den Letztverbraucher gelangen soll, wie dem Gebot des unionsrechtlichen, nachhaltigen Verbraucherschutzes  auf der anderen Seite.
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Offline tangocharly

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« Letzte Änderung: 23. September 2014, 20:33:27 von tangocharly »
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