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Autor Thema: Entscheidungen am Amtsgericht Kassel  (Gelesen 11048 mal)

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Offline DieAdmin

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Entscheidungen am Amtsgericht Kassel
« am: 20. März 2012, 12:41:05 »
Urteil AG Kassel v. 06.02.12 - Az: 415 C 5201/11

neu in der Entscheidungssammlung:

http://www.energieverbraucher.de/de/site/Preisprotest/site/site__2948/

Offline DieAdmin

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Entscheidungen am Amtsgericht Kassel
« Antwort #1 am: 28. März 2012, 12:38:30 »
ein weiteres Urteil, aber gegenteiliger \"Richtung\", ist nun in der Sammlung:

Urteil AG Kassel v. 12.01.12 - Az: 435 C 4905/11
http://www.energieverbraucher.de/de/site/Preisprotest/site/site__2953/

Offline RR-E-ft

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Entscheidungen am Amtsgericht Kassel
« Antwort #2 am: 28. März 2012, 13:24:48 »
So unterschiedlich können die Entscheidungen allein bei einem Amtsgericht ausfallen.


Die Entscheidung des AG Kassel vom 12.01.12 steht in offenem  Widerspruch zu den Beschlüssen des BGH
vom 18.05.11 Az. VIII ZR 71/10
vom 29.06.11 Az. VIII ZR 211/10
vom 24.01 12 Az. VIII ZR 236/10 und VIII ZR 158/11
sowie zum Urteil des OLG Stuttgart v. 31.12.10 Az. 2 U 94/10.

Offline bolli

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Entscheidungen am Amtsgericht Kassel
« Antwort #3 am: 28. März 2012, 13:43:40 »
Zitat
Original von Evitel2004
ein weiteres Urteil, aber gegenteiliger \"Richtung\", ist nun in der Sammlung:

Urteil AG Kassel v. 12.01.12 - Az: 435 C 4905/11
http://www.energieverbraucher.de/de/site/Preisprotest/site/site__2953/
Zitat
Urteil AG Kassel v. 12.01.12 - Az: 435 C 4905/11 S. 2 unten
Eine Billigkeitskontrolle findet im Ergebnis deswegen nicht statt; weil die Voraussetzungen dafür\' nicht vorliegen. Unbilligkeit im Sinne des §315 Abs. 3 BGB liegt dann vor, wenn der Anbieter einer Leistung, dem das einseitige Preisbestimmungsrecht zusteht, gegenüber dem anderen Vertragsteil (in der Regel einem Verbraucher) sich in einer Position befindet, die dem anderen Teil eine Ausweichreaktion rechtlich oder faktisch unmöglich macht. Dies liegt etwa dann vor, wenn ein Anschluss- und Benutzungszwang besteht oder ein tatsächliches oder faktisches (Quasi-)Monopol besteht. Ein Ausweichen kann auch dann unmöglich sein, wenn dem anderen Vertragsteil eine zeitnahe Beendigung des Vertrages durch
Kündigung nicht oder nur unter besonders \'erschwerten Bedingungen möglich sein sollte bzw. mit weiteren wirtschaftlichen Nachteilen verbunden sein sollte. Sobald aber die Kündigung zeitnah möglich ist und der Gas-Endverbraucher sich von einem anderen Versorgungsunternehmen
beliefern ,lassen kann, besteht keine Zwangssituation mehr,\'wie sie §  315 Abs. 3 BGB voraussetzt. Denn diese Norm schützt nur vor dem Mißbrauch einer privatautonomen Gestaltungsmacht (PalandtlGrüneberg ,§ 315 BGB Rdnr. 2)


Es ist schon merkwürdig, dass manche Amtsrichter die BGH-Entscheidungen nicht (u.a BGH-Urteil v. 14.07.2010 - VIII ZR 246/08 Rd-Nr. 58 ) oder mit einer sehr eigenen Interpretation (z.B. BGH Beschluss vom 29.06.2011 VIII ZR 211/10 Rd-Nr. 17
Zitat
Ist einem Energieversorger aufgrund Gesetzes oder vertraglicher Vereinbarung ein Preisanpassungsrecht eingeräumt, so unterliegt eine auf der Grundlage dieses Rechts erfolgte Preiserhöhung als einseitige Leistungsbestimmung der gerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB, sofern und soweit es sich nicht um vereinbarte Preise handelt (st. Rspr. des Senats; zuletzt Beschlüsse vom 18. Mai 2011 - VIII ZR 71/10, aaO unter III 2 a; vom 9. Februar 2011 - VIII ZR 162/09, WM 2011, 850 Rn. 18; jeweils mwN).
auslegen.

Aber es gibt bestimmt gewichtige Gründe, warum man dazu nicht in der Lage ist. Immerhin hat man ja die Berufung zugelassen. Soll sich doch ein anderer Richter, der mehr Zeit zum Lesen hat, damit genauer beschäftigen.  X(

Offline uwes

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Entscheidungen am Amtsgericht Kassel
« Antwort #4 am: 28. März 2012, 19:31:55 »
Zitat
Original von bolli
 Soll sich doch ein anderer Richter, der mehr Zeit zum Lesen hat, damit genauer beschäftigen.  X(

Die Amtsrichter disqualifizieren sich manchmal selbst  Ich erlebe das auch. Dabei muss man einfach einmal von dem Gedanken eines großen Schutzschirmes, den die Gerichte über den Energieversorgungsunternehmen ausbreiten weg,  und in die \"niederen Tiefen\" der Juristerei blicken.
Wir haben es bei allen Energielieferungen mit Kaufverträgen zu tun. Wenn es sich um eine ständige Beleiferung handelt, nennt man das \"Dauerschuldverhältnis\". Im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses schuldet der Verkäufer die Lieferung und der Käufer den vereinbarten Kaufpreis. Will der Verkäufer einen höheren, als den ursprünglichen Kaufpreis, so muss der Richter zunächst einmal anhand des Parteienvorbringens ermitteln, woraus sich ein solches Recht ergeben könnte.
Stößt er dann \"unvermutet\" auf die §§ 4 AVBGasV oder 5 GasGVV, dann handelt es sich nach bisheriger Auffassung vieler Gerichte und des BGH (Achtung: Vorlagefrage an den EuGH geht dahin, die Wirksamkeit zu bestätigen) um eine gesetzliche Bestimmung, die den Versorger berechtigt und verpflichtet, die Preise nach billigem Ermessen anzupassen.

Jetzt kommt die Stunde des kleinen Amtsrichters.

Er wird nämlich zu dem Ergebnis kommen, dass es kaum möglich sein kann, dem Versorger eine solche Befugnis zu belassen, ohne dass dies vom Kunden auf Angemessenheit überprüft werden könnte. Gäbe es dese Möglichkeit nicht, könnte der Versorger nach Belieben \"festsetzen\". Diese Überprüfungsmöglichkeit dürfte dem Kunden schon aus dem Grundgedanken des effektiven Rechtsschutzes (Verfassungsrecht!) zustehen, ohne dass man sich dabei auf § 315 BGB stützen müsste.

Nun gibt es aber den § 315 BGB und dieser steht nicht im Kartellgesetz oder in irgendwelchen Vorschriften zu kartellrechtlichen Themen, sondern im allgemeinen Teil des BGB.
Da steht nichts von Voraussetzungen derart, dass das Unternehmen \"marktstark\" oder -beherrschend oder gar \"Monopolist\" sein müsste, damit man diesen anwenden kann. Da steht nur ganz allgemein das, was eigentlich ohnehin im Rahmen des effektiven Rechtsschutzes vom Gesetzgeber verlangt werden muss, nämlich, dass der Bestimmungsgegner die Leistungsbestimmung auf Angemessenheit überprüfen lassen kann.

Vielleicht sollten die Richter sich einmal unabhängig von Herkunft und Bedeutung der Prozessparteien mit dem Lesen der Gesetze befassen. Das hilft enerom bei der Rechtsfindung.
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
____________________________________________________
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Offline bolli

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Entscheidungen am Amtsgericht Kassel
« Antwort #5 am: 29. März 2012, 07:45:08 »
Zitat
Original von uwes
Nun gibt es aber den § 315 BGB und dieser steht nicht im Kartellgesetz oder in irgendwelchen Vorschriften zu kartellrechtlichen Themen, sondern im allgemeinen Teil des BGB.
Da steht nichts von Voraussetzungen derart, dass das Unternehmen \"marktstark\" oder -beherrschend oder gar \"Monopolist\" sein müsste, damit man diesen anwenden kann. Da steht nur ganz allgemein das, was eigentlich ohnehin im Rahmen des effektiven Rechtsschutzes vom Gesetzgeber verlangt werden muss, nämlich, dass der Bestimmungsgegner die Leistungsbestimmung auf Angemessenheit überprüfen lassen kann.
Der selige Amtsrichter hat ja versucht sich insofern elegant aus der Affäre zu ziehen, als er den BGB-Kommentar Palandt/Grüneberg mit heranzieht, der zu § 315 eben solche Aussagen macht. Allerdings scheint man an dieser Stelle versäumt zu haben, die neuere Rechtsprechung des BGH mit einzuarbeiten bzw. die Besonderheiten im Energierecht darzustellen. Da kann schließlich der arme Amtsrichter nichts zu. Schließlich hat er wenigstens dieses Werk anscheinend gelesen.  ;)

Offline RR-E-ft

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Entscheidungen am Amtsgericht Kassel
« Antwort #6 am: 29. März 2012, 09:04:15 »
Es kommt auch für einen Amtsrichter zunächst darauf an, aktuelle Kommentierung zu verwenden und sodann darauf, diese zu verstehen.

Palandt- Grüneberg, BGB, 71.Aufl. [2012], § 315 BGB Rn. 4 verweist darauf, dass einer Partei vertraglich oder gesetzlich wirksam ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt sein muss, sich ein solches gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht nach der Rechtsprechung des BGH für Preiserhöhungen des Energieversorgers aus § 5 StromGVV/ GasGVV ergibt (unter Verweis auf BGH NJW 07, 2540). Ausdrücklich heißt es dort, dass einseitige Tariferhöhungen wie zB gem. § 5 StromGVV/ GasGVV an § 315 BGB zu messen sind, soweit der Kunde diese nicht längere Zeit unbeanstandet hingenommen hat (unter Verweis auf BGH NJW 07, 2540; NJW 09, 502; NJW 11, 50).

Es ist vollkommen logisch, dass die Partei, der entweder vertraglich oder gesetzlich ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht iSv. § 315 Abs. 1 BGB wirksam eingeräumt wurde, die einseitige Leistungsbestimmung nicht willkürlich treffen darf, sondern sich diese einseitige Leistungsbestimmung im Rahmen der Billigkeit halten muss, andernfalls nach der gesetzlichen Regelung gem. § 315 Abs. 3 BGB für den anderen Teil unverbindlich ist (st. Rspr. des BGH).

Es steht einem Amtsrichter frei, mit guter Begründung eine andere Rechtsauffassung als der BGH zu vertreten und seiner Entscheidung zu Grunde zu legen. In einem solchen Fall muss der deshalb unterlegenen Partei aber jedenfalls ein Rechtsmittel eröffnet werden, da die Entscheidung, soweit sie ein Rechtsmittel versagt, nach der st. Rspr. des BVerfG eine verfassungswidrige  Willkürentscheidung darstellt, die nach Nichtabhilfe einer Gehörsrüge auf zulässige Verfassungsbeschwerde hin aufzuheben ist.

Offline Didakt

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Entscheidungen am Amtsgericht Kassel
« Antwort #7 am: 29. März 2012, 11:30:21 »
Zitat
Original von RR-E-ft
Es steht einem Amtsrichter frei, mit guter Begründung eine andere Rechtsauffassung als der BGH zu vertreten und seiner Entscheidung zu Grunde zu legen. In einem solchen Fall muss der deshalb unterlegenen Partei aber jedenfalls ein Rechtsmittel eröffnet werden, da die Entscheidung, soweit sie ein Rechtsmittel versagt, nach der st. Rspr. des BVerfG eine verfassungswidrige Willkürentscheidung darstellt, die nach Nichtabhilfe einer Gehörsrüge auf zulässige Verfassungsbeschwerde hin aufzuheben ist.

Wobei wir abermals bei der bereits an anderer Stelle hinreichend durchgekauten Thematik sind, die sich aus einer fragwürdigen sogenannten „örtlichen Rechtsprechungslage“ ergab.

Erneut zeigt sich mit diesem zweifelhaften Urteil die immer wieder vorkommende hässliche Fratze der amtsrichterlichen Rechtsprechung! X(

Aber wo ist das Problem? Der sich bei einem Streitwert von 250,88 € lohnende Gang durch die Instanzen ist in diesem Fall – dem Himmel sei gedankt – ja eröffnet!:)

Offline bolli

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Entscheidungen am Amtsgericht Kassel
« Antwort #8 am: 29. März 2012, 12:30:25 »
Zitat
Original von Didakt
Aber wo ist das Problem? Der sich bei einem Streitwert von 250,88 € lohnende Gang durch die Instanzen ist in diesem Fall – dem Himmel sei gedankt – ja eröffnet!:)
Aber für den betroffenen Anwalt des Verbrauchers nicht besonders lohenswert. Woll\'n wir mal hoffen, dass es unter diesen auch ne Reihe gibt, die eher aus Freude an der Sache als auf finanzielle Einnahme gerichtete Mandate annehmen. Auch wenn Kleinvieh auch Mist macht, kann man sich als Anwalt wohl nicht allzuviele solcher Mandate erlauben.  Das ist dann die andere Seite, mit der ich als \"anwaltliche Beratung suchender Verbraucher\" auch konfrontiert werde.

Offline RR-E-ft

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« Antwort #9 am: 29. März 2012, 14:58:51 »
Bei einem Streitwert von 250,88 € belaufen sich die RA- Gebühren in der Berufung gem. §§ 2, 13 RVG einschließlich Kosten für Porti, Fax und Telefon auf immerhin fast sagenhafte 84 EUR.
Da muss man wohl sehen, welchen Handwerker vor Ort man dafür begeistern kann, insbesondere wenn es in der Berufung zur Frage der Billigkeit erst richtig zur Sache gehen soll.


Zitat
Original von bolli
Woll\'n wir mal hoffen, dass es unter diesen auch ne Reihe gibt, die eher aus Freude an der Sache als auf finanzielle Einnahme gerichtete Mandate annehmen.

Ein Anwalt wird sich wohl die Frage stellen, welche Einnahmen ihm an anderer Stelle dadurch verlustig gehen, dass er eine solche Sache aus Freude an der Sache übernimmt und deshalb die notwendige Zeit darauf vewendet (Opportunitätskosten), welchen Dank er ggf. dafür unabhängig vom Verfahrensausgang in welcher Welt erwarten darf bzw. muss[eigene Familie, eigene Mitarbeiter usw. usf.]. SCH...LECKER

Offline Didakt

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Entscheidungen am Amtsgericht Kassel
« Antwort #10 am: 29. März 2012, 16:36:21 »
Von @ bolli bin ich wohl falsch verstanden worden. Die Ironie meiner Äußerung scheint ihm wohl entgangen zu sein. ;)

Die hier in Frage stehende Rechtsauslegung zweier getrennt voneinander erkennender Richter in ein und demselben Amtsgericht bei annähernd gleichem Tatbestand kann man doch „allen Ernstes“ nur spöttisch begegnen. Demzufolge ebenso die mögliche Fortsetzung des streitigen Verfahrens bei diesem „enormen“ Streitwert.

Es versteht sich doch von selbst, dass bei den genannten läppischen Gebühren nach der GO kein RA aus Freude an der Sache für ein Berufungsverfahren auch nur „einen Finger krumm machen“ kann und wird, auch und schon lange nicht Frau RA J. Feuerhake in Göttingen als ausgewiesene Expertin auf dem Gebiet des Energierechts.

Aus dem Urteil ist leider nicht ersichtlich, auf welchem streitgegenständlichen Zeitraum sich die Zahlungsklage bezieht. Der Beklagte hat anscheinend von der Zeitenwende auf dem Energiemarkt nichts mitbekommen und gehört somit zu den anteiligen 40% der Verbraucher, die sich als grundversorgte Tarifkunden in ihrer Haut bedauerlicherweise weiterhin sehr wohl fühlen. § 315 (3) BGB steht Ihnen immer offen. Es sei ihnen gegönnt, mit allen Konsequenzen. Der Richter wollte mit seinem Spruch wohl ein richtungsweisendes Exempel statuieren. Ich schätze, ohne großen Erfolg!

 

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