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Autor Thema: BGH, Urt. v. 15.05.12 EnZR 105/10 Stromnetznutzungsentgelt V  (Gelesen 4437 mal)

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Offline RR-E-ft

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Re: BGH, Urt. v. 15.05.12 EnZR 105/10 Stromnetznutzungsentgelt V
« Antwort #1 am: 18. Juli 2012, 14:38:07 »
Die behördlich genehmigten Netzentgelte unterliegen der gerichtlichen Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB.

Nach § 315 BGB kann etwa zu prüfen sein, ob die Entgeltgenehmigung auf unrichtigen Tatsachenangaben des Netzbetreibers in den Antragsunterlagen beruht, deren Fehlerhaftigkeit im Genehmigungsverfahren nicht aufgedeckt worden ist (BGH EnZR 105/10 Rn. 23).

Vorliegend hätte der Netzkunde u.a. auch die Ordnungsgemäßheit des Genehmigungsverfahrens mit Nichtwissen zu bestreiten gehabt ebenso wie den Umstand, dass die Tatsachenangaben in den Antragsunterlagen vollständig und richtig waren, um die Indizwirkung der Genehmigung zu erschüttern..

Dies hat er leider nicht getan.   

Offline RR-E-ft

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Offline tangocharly

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Re: BGH, Urt. v. 15.05.12 EnZR 105/10 Stromnetznutzungsentgelt V
« Antwort #3 am: 31. Oktober 2012, 18:41:50 »
Man kommt nicht umhin, der Kollegin Götz aus HH beizupflichten, wenn sie in ihrer Anmerkung zur Entscheidung des Kartellsenats ausführt:
Zitat
Dabei verkennt der Senat aber, dass gerade die von ihm zur Begründung des Indizcharakters ins Feld geführte „Prüftiefe“ in der Realität, insbesondere in der ersten Entgeltregulierungsrunde, unzureichend war.
Nicht nur die Behörde selbst räumte in den Genehmigungsbescheiden ein, dass sie lediglich anhand eines bestimmten Rasters geprüft habe, auch verschiedene Oberlandesgerichte, allen voran das OLG Düsseldorf, bestätigten dies1. Der Senat des OLG Düsseldorf, der als zuständiges Beschwerdegericht gem. § 75 EnWG einen besonders guten Einblick in die Genehmigungsverfahren und somit auch in die Prüftiefe hatte, führte a.a.O. aus, es sei gerichtsbekannt, dass die Regulierungsbehörde in der ersten Regulierungsrunde aus personellen und zeitlichen Gründen nur eine rudimentäre Prüfung der vorgelegten Unterlagen der Netzbetreiber habe vornehmen können,
sie habe lediglich bestimmte Werte geprüft, eine in die Tiefe gehende Untersuchung habe – auch in der Folgezeit – nicht stattgefunden.
So sei ein äußerst eingeschränktes Prüfraster verwandt worden. Bei den kalkulatorischen Kosten seien nur einige wenige Positionen überprüft, bei den aufwandsgleichen Kosten seien die Kostenpositionen überhaupt nicht überprüft worden. So seien beim Sach- und Anlagevermögen weder deren Betriebsnotwendigkeit noch die Richtigkeit der Netzbetreiberangaben überprüft worden.
Des Weiteren seien wesentliche Kostenblöcke, wie beispielsweise Personalkosten und deren Schlüsselung, ungeprüft vom Netzbetreiber übernommen worden
. Angesichts solcher Aussagen aus der Praxis des Senats des OLG Düsseldorf fällt es schwer, der Genehmigung einen derart hohen Indizcharakter beizumessen. Jedenfalls aber muss es unschwer möglich
sein, die Indizwirkung der Genehmigung zu erschüttern, und zwar auch oder gerade ohne Kenntnis der Antrags- und Genehmigungsunterlagen des Netzbetreibers, von denen der Netznutzer erst
nach Offenlegung durch den Netzbetreiber Kenntnis erlangen kann (denn auch die Möglichkeit einer Beiladung des Netznutzers zum Genehmigungsverfahren, im Zuge dessen der Netznutzer eventuell Einblicke in die Genehmigungsunterlagen hätte erlangen können, sah der BGH allenfalls in wenigen Situationen).
Andernfalls würde die Aussage des BGH, wonach die Indizwirkung vom Netznutzer erschüttert werden könnte, ins Leere laufen, denn die Antragsunterlagen stehen und standen ihm zu keinem
Zeitpunkt zur Verfügung.
Ohne Offenlegung durch den Netzbetreiber ist eine Kenntnisnahme nicht möglich. Da er dazu aber erst nach Erschütterung der Indizwirkung verpflichtet ist, muss die Erschütterung der Indizwirkung
ohne Kenntnis der Antragsunterlagen möglich sein, z. B., indem der Netznutzer vorträgt, dass die Prüfung in der ersten Genehmigung nur rasterhaft war und dies sowohl durch die Behörde selbst als auch durch verschiedene Gerichte, die mit dem Prüfungsverfahren als Beschwerdegerichte befasst waren, bestätigt wurde
.
Abschließend ist zu sagen, dass der BGH den Netznutzern den Weg geebnet hat, die regulierten Entgelte von den Gerichten nach § 315 BGB überprüfen zu lassen. Nun ist es an den  Instanzgerichten, das soeben aufgezeigte Spannungsverhältnis zwischen dem Indizcharakter der Genehmigung einerseits und dem Erfordernis der Erschütterung der Genehmigung ohne Kenntnis der Antragsunterlagen durch den Netznutzer andererseits aufzulösen, damit der Anspruch nach § 315 BGB nicht nur in der Theorie besteht. Insbesondere bei den OLG-Senaten, die gleichzeitig Rechtsmittelgerichte für Regulierungsentscheidungen sind, dürfte diese Aufgabe sachgerecht bewältigt werden können.

Es ist doch immer wieder die alte Leier:
Wer will denn die Berechtigung der Preisbildung (oder anders herum ausgedrückt: deren Nichtberechtigung) sonst darlegen, als der Netzbetreiber. Dass diese Kalkulation unter dem Deckel gehalten wird (Betriebsgeheimnis, Eingriff in die Berufsfreiheit, etc.) ist ja geläufig.
Dass der Netznutzer auch noch die Art des (Prüf-)Rasters kennen muß, um die Genehmigungsfiktion zu erschüttern, setzt ja auch schon Insiderwissen voraus. Und die Kollegin moniert zu Recht; eine Einbindung des Nutzers in das Genehmigungsverfahren vor der Behörde und/oder dem Gericht gibt es quasi nicht.

Ergo stellt man den Elfmeter-Schützen vor das umgedrehte Tor und wartet drauf, ob und wie er den Elfmeter verwandelt.
<<Der Preis für die Freiheit ist die Verantwortung>>

 

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