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Autor Thema: Urteil LG Frankenthal vom 15.05.2012, Az. 4 O 389/11  (Gelesen 7677 mal)

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Offline mathaub

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Urteil LG Frankenthal vom 15.05.2012, Az. 4 O 389/11
« am: 06. Juli 2012, 15:56:31 »
Urteil LG Frankenthal vom 15.05.2012, Az. 4 O 389/11

Eines der ersten, berufungsfähigen Endurteile des LG Frankenthal zu einer Vielzahl von Rückforderungsklagen aus dem Dezember 2011 liegt nunmehr vor. Es wird umgehend eingestellt.

Dagegen ist das Rechtsmittel der Berufung möglich, die der Versorgungsnehmer in jedem Fall einlegen wird.

Das LG Frankenthal und das AG Frankenthal, an denen zur Zeit über 50 Rückforderungsklagen anhängig sind, wenden die BGH-Rechtsprechung vom 14.03.2012 einheitlich und auf alle Sachverhalte an, auch wenn diese ersichtlich nicht auf diese Sachverhalte passen.

Hierzu im einzelnen wie folgt:

Das Urteil lässt zunächst völlig offen, ob eine Preisänderungsbefugnis bestand oder nicht, weil es angeblich darauf nicht ankomme. Selbst wenn keine Preisänderungsbefugnis bestanden habe, so sei die Klage letztlich abzuweisen. Soweit geringfügige Beträge zugunsten des Versorgungsnehmers aufgrund der BGH-Urteile vom 14.03.2012 zuzusprechen seien, seien diese erloschen durch die hilfsweise erklärte Aufrechnung des Versorgers mit höheren Entgeltansprüchen in 2009, 2010 und 2011, als tatsächlich vom Versorgungsnehmer verlangt.

Es wird eine hohe Erstanfangspreisbasis zugrunde gelegt und dann damit alle Versorgungszeiträume nachberechnet. Daraus soll sich dann eine Gegenforderung des Versorgers ergeben, die aufrechenbar sei im Wege der Hilfsaufrechnung gegen den Rückforderungsanspruch des Versorgungsnehmers.

Das Urteil ist falsch und wendet die BGH-Urteile vom 14.03.2012 an, obwohl diese auf den vorliegenden Sachverhalt nicht zutreffen:

1.   keine vertraglich begründete Preisänderungsbefugnis

Das Urteil geht im Tatbestand davon aus, dass zu einem nicht aufklärbaren Zeitpunkt ein Vertrag über die Gaslieferung geschlossen wurde, wie dieser Vertrag aussah, lässt das Gericht offen. Das Gericht verkennt dabei die Beweislast für das Bestehen einer vertraglichen Preisänderungsbefugnis: Diese hat der Versorger nachzuweisen. Gibt es kein schriftliches Vertragsformular zwischen den Parteien, so ist u.a. maßgeblich die veröffentlichte Tarifstruktur des Versorgers und die Bezeichnung des abgerechneten Tarifs in den Jahresrechnungen.

Hier war nachgewiesen, dass die veröffentlichte Tarifstruktur und die Jahresrechnungen von einem „Sondervereinbarungstarif“ sprechen, also muss eine Sondervereinbarung mit dem Versorgungsnehmer geschlossen worden sein. Ob diese Versorgung nach einem vorgelegten Vertragsmuster stattgefunden hat oder nicht, kann die Versorgerin nicht nachweisen, da es kein schriftliches Vertragsformular gibt.

Selbst wenn die Versorgung nach dem schriftlichen Vertragsmuster stattgefunden hätte, wäre dies kein Versorgungssachverhalt, auf den die BGH-Urteile vom 14.03.2012 zutreffen:

Die BGH-Urteile, Az: VIII ZR 113/11 und Az: VIII ZR 93/11, gehen beide von einer vereinbarten vertraglichen Preisänderungsbefugnis aus, die sich nachträglich als unwirksam herausstellt, wodurch eine „Lücke im Regelungsplan der Parteien“ entsteht.

Nur dann soll sich der Versorger auf eine ergänzende Vertragsauslegung zu seinen Gunsten berufen können mit der Folge, dass Rückforderungsansprüche auf eine Preisbasis beschränkt werden, die drei Jahre zurückliegt, berechnet auf erstem Widerspruch des Versorgungsnehmers. Nur für diese Fälle hat der BGH eine ergänzende Vertragsauslegung normiert, während er sich nicht verhalten hat zu den Fällen ohne vertragliche Preisänderungsbefugnis und bei nicht wirksam einbezogener AVBGasV.
Im Vertragsmuster ist keine Preisänderungsklausel enthalten, nur der pauschale, übliche Verweis auf die AVBGasV, die bei Bedarf gerne zugeschickt wird.
Es gibt also kein vertraglich begründetes Preisänderungsrecht und kein wirksam einbezogenes gesetzliches Preisänderungsrecht.
Nach Wertung des Versorgungsnehmers sind daher die BGH-Urteile auf den vorliegenden Sachverhalt nicht  anwendbar mit der Folge, dass es bei der Berechnung des Erstvertragspreises bleiben muss bzw., so wie hier mit der Klage geltend gemacht, auf Preisbasis 01.01.2000 unter modifizierter freiwilliger Anpassung der Preisbasis des Rückforderungsanspruches durch den Versorgungsnehmer.

2.   kein auffälliges Missverhältnis

Weil diese moderate Vertragspreisanpassung erfolgt ist, besteht auch kein völlig außer Verhältnis geratenes Preisgefüge zwischen der Rückforderungspreisbasis 2000 und den von der Versorgerin selbst aufzuwendenden Entgelten im Zeitraum 2008 bis 2011.

Trotz Rüge durch den Kläger, dass hierzu vorgetragen werden muss, um ein solch auffälliges krasses Missverhältnis feststellen zu können unter Darlegung der Einkaufssituation des Versorgers mit konkreter Darlegung des jeweiligen, selbst zu zahlenden Preises im Vorlieferantenverhältnis, ist ein solcher Vortrag im Prozess nicht erfolgt, weshalb aus Sicht des Klägers eine ergänzende Vertragsauslegung zugunsten des Versorgers ebenfalls scheitern muss.

3.   Einzelfallprüfung

Schließlich und endlich bleibt es eine Einzelfallprüfung, ob eine ergänzende Vertragsauslegung zugunsten des Versorgers stattfinden kann.

Die beiden Urteile sprechen ausdrücklich davon, dass die ergänzende Vertragsauslegung vorgenommen werden kann. Hierzu ist eine umfassende Einzelfallprüfung zum jeweiligen Versorgungsverhältnis erforderlich. Diese Einzelfallprüfung muss umfassen die Einkaufssituation pro Kilowattstunde für den Versorger in Relation zum abgerechneten Rückforderungspreis des Versorgungsnehmers. Die Einzelfallprüfung hat desweiteren das bisherige Verhalten des Versorgers zu umfassen, insbesondere wie hier frühzeitige Urteile zur Unwirksamkeit seiner Preisänderungssituation und die Nichtreaktion hierauf gegenüber den Versorgungsnehmern durch Kündigung.

Gerade die Tatsache der Kündigungsmöglichkeit im Normsonderkundenverhältnis ist vom BGH bisher herausgestellt worden als ein maßgebliches Kriterium dafür, keine ergänzende Vertragsauslegung oder Vertragsanpassung vorzunehmen, da der Versorger dann frühzeitig gewarnt war. Im vorliegenden Fall war der Versorger zwar nicht gewarnt durch den Versorgungsfall dieses Versorgungsnehmers, aber durch eine Vielzahl von Prozessen an den anderen Gerichten, aus denen die Unwirksamkeit seiner vertraglichen Preisänderungssituation oder das Nichtbestehen einer solchen vertraglichen Preisänderungssituation bekannt war.

4.   außergerichtliche Primäraufrechnung

Für die Rückzahlungsansprüche 2006 und 2007, mit denen außergerichtlich die Aufrechnung erklärt wurde, ist höchst richterlich noch nicht geklärt, wie § 215 BGB auf diesen Fall anzuwenden ist. Die Versorgungsnehmer hatten keine Kenntnis vom Bestehen von Rückforderungsansprüchen bis zu anwaltlicher Aufklärung.
Ein Aufrechnungsverbot bestand im konkreten Versorgungsfall nicht.
Hier sind die Rückforderungsansprüche 2006 und 2007 zwar nicht eingeklagt worden, sie wurden aber zur Primäraufrechnung gegen weitere Versorgungsentgelte nach Kündigung gestellt. Da es ein Aufrechnungsverbot nicht gibt mangels Einbeziehung der AVBGasV, ist die Primäraufrechnung möglich. § 215 BGB steht dem nicht entgegen, da auch hier die Aufrechnungslage erstmals gegeben war mit Bekanntwerden des Rückforderungsanspruches beim Versorgungsnehmer. Insoweit kann nicht auf den Zeitpunkt abgestellt werden, zu dem sich erstmals die Ansprüche aufrechenbar gegenüber standen.

5.   zugelassene Hilfsaufrechnung mit höheren
Entgeltansprüchen

Nicht nachvollziehbar ist ebenfalls die Argumentation des Landgerichtes, dem Versorger stünden per Hilfsaufrechnung aufrechenbare Gegenansprüche zu, da das Gericht der Versorgerargumentation gefolgt ist, auf relativ hoher Preisbasis zum 11.01.2009 gerechnet hat (Datum des Zugang der Rückforderungsklage 11.01.2012) und das genau zu diesem Zeitpunkt geltende Preisniveau herangezogen hat (bei Anwendung der BGH-Urteile) und dieses Preisniveau dann weiter berechnet hat für die geltend gemachten Rückforderungsansprüche 2009, 2010 und 2011, was dann natürlich zu einer höheren Entgeltforderung des Versorgers führt, als von diesem tatsächlich verlangt und tatsächlich berechnet.

Mit diesen sich dann ergebenden Entgeltansprüchen des Versorgers lässt das Gericht die Hilfsaufrechnung zu. Dies ist schon nicht zulässig, da Preissenkungen in diesem Zeitraum selbstverständlich auch zugunsten des Rückforderungsgläubigers eingestellt werden müssen. Hier kam noch das Problem hinzu, dass in einem gewissen Zeitraum ein sogenannter „Winterrabatt“ gewährt wurde. Dieser Winterrabatt ist auch nach Auffassung eines Zivilreferates beim Amtsgericht Frankenthal kein Ausfluß eines Preisänderungsrechtes, sondern eben ein Rabatt oder Nachlass, der allen Versorgungsnehmern gewährt wurde. Dieser Rabatt oder Nachlass muss dann auch dem Rückforderungsgläubiger zugute kommen bei Berechnung seiner Ansprüche. Auch diese Argumentation hat das Landgericht nicht akzeptiert und hat sich voll umfänglich der Versorgerargumentation angeschlossen.

6.   welches Preisniveau?

Interessant ist auch die Problematik des Rückforderungspreisniveaus, mit dem das Gericht rechnet aufgrund der Klagezustellung am 11.01.2012. Diese Ausführungen sind definitiv falsch: Der Versorgungsnehmer hatte bereits am 11.11.2011, vor Klageerhebung, die Rückforderungsansprüche geltend gemacht und den Unbilligkeitseinwand nachträglich gegen die Jahresrechnung 2011 erhoben. Dies vor Klageerhebung.

Hierauf hat der Versorger nachgewiesenermaßen -im Prozess nachgewiesen- auch reagiert und noch in 2011 die Kündigung ausgesprochen, gegen die ebenfalls Widerspruch erfolgte.

Bereits in der Erstgeltendmachung mit Schreiben vom 11.11.2011 war den Jahresrechnungen nachträglich widersprochen worden und der Unbilligkeitseinwand erhoben worden gegen die letzte Jahresrechnung. Diese letzte Jahresrechnung datiert vom 06.09.2011, Zugang später, so dass von einer rechtzeitigen Widerspruchseinlegung auch gegen die Jahresrechnung 2011 auszugehen ist und damit der Hilfsargumentation Unbilligkeitseinwand zumindest auch hier hätte gefolgt werden müssen: Die dort abgerechneten Preisänderungen sind gar nicht fällig.

Außerdem belegt dies einen Erstwiderspruch bereits in 2011 gegen die Jahresrechnung 2011, so dass, rechnet man drei Jahre zurück, auch die Jahresrechnung 2008, die ebenfalls im September 2008 erteilt wurde, noch rechtzeitig angegriffen ist und damit alle Preisänderungen in dieser Jahresrechnung vom Widerspruch des Versorgungsnehmers erfasst sind bei Anwendung des Dreijahreszeitraumes. Insoweit kann vorliegend nicht nur auf die Klagezustellung abgestellt werden, sondern muss auch auf den Erstwiderspruch November 2011 abgestellt werden.

Dies hat zur Folge, dass bei Anwendung der BGH-Urteile auf jeden Fall alle Preisänderungen aus der Jahresrechnung 2008 erfasst sind. Die Preisänderungen in der Jahresrechnung 2008 sind Preisänderungen von € 0,0441 / kWh Ausgangspreis am 23.08.2007, also erster Abrechnungszeitraum dieser Jahresrechnung über € 0,0456 / kWh zum 01.10.2007, € 0,0487 / kWh zum 01.01.2008 und € 0,0550 / kWh am 01.07.2008.

Auch bei Anwendung der BGH-Urteile ist der der Rückforderung zugrunde zu legenden Preis der günstigste Preis aus der Jahresrechnung 2008, mithin € 0,0441 / kWh. Hierauf muss dann noch der Winterrabatt berücksichtigt werden im Zeitraum der Gewährung des Winterrabattes. Eine Hilfsaufrechnung mit angeblich höheren Entgeltforderungen des Versorgers ist nicht zulässig, so dass auf jeden Fall ein Rückforderungsanspruch selbst bei Anwendung der BGH-Urteile zuzuerkennen ist.

Nach Auffassung des Klägers sind die BGH-Urteile auf die vorliegende Vertragskonstellation mangels nachgewiesenem vertraglichem Preisänderungsrecht nicht anwendbar. Auch eine Einzelfallprüfung scheidet hier zu Lasten des Versorgers aus, da er frühzeitig gewarnt war über seine unwirksame Preisänderungssituation und sich durch Kündigung hätte lösen können. Außerdem ist kein so großes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung gegeben, dass eine ergänzende Vertragsauslegung zugunsten des Versorgers erforderlich wäre, der Versorger außerdem über die Verjährung der Rückforderungsansprüche schon weitgehend geschützt ist.
 
 
06.07.2012
mathaub

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« Antwort #1 am: 06. Juli 2012, 16:06:07 »
Ohne notwendigen Vortrag des Versorgers zum Ausgangspreis kommt laut BGH eine ergänzende Vertragsauslegung nicht in Betracht.

Siehe hier:

BGH, B. v. 24.04.12 Az. VIII ZR 278/11 Sondervertrag Gas notw. Vortrag zum Ausgangspreis (Pfalzgas)

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« Antwort #2 am: 09. Juli 2012, 15:11:12 »
Das Urteil ist online

http://www.energieverbraucher.de/de/site/Preisprotest/site/site__2963/

Hinweis: Auf Seite 2 wurde zu viel vom Text übermalt (nicht von mir). Was jetzt da noch schwarz ist: \"im Sonderkundentarif\"

 

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