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Autor Thema: Terminsbericht BGH VIII ZR 295/09  (Gelesen 9753 mal)

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Offline ESG-Rebell

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Terminsbericht BGH VIII ZR 295/09
« am: 08. Dezember 2010, 14:08:27 »
Verhandlung am 8.12.10 von 10:07 bis 11:02 Uhr.
8. Zivilsenat: Ball, Dr. Frellesen, Dr. Milger, Dr. Achilles, Dr. Bünger

LG Wiesbaden - Urteil vom 22. Januar 2009 – 13 O 159/07
OLG Frankfurt am Main - Urteil vom 13. Oktober 2009 – 11 U 28/09 (Kart)
(abgedruckt in ZNER 2009, 395 = RdE 2010, 104)

Kläger: Kubentz, RA Dr. Kummer und RA Dr. Wassermann
Beklagte: ESWE Versorgungs AG, RA Dr. Siegmann
   (Anm.: Prof. Dr. Krämer ist diesmal nur als Beobachter dabei).

----- 10:07 ---------------------------------------------------------------------------
Ball:

Der Streitwert beträgt 4405,76 Euro

Es geht um Gaspreiserhöhungen, die die Beklagte einseitig vorgenommen hat.
Sie beliefert den Kläger seit 1993 als örtlicher Versorger mit Gas für Heizzwecke und zur Warmwasserbereitung.

Unstreitig ist, dass es sich ursprünglich um einen Tarifvertrag handelte.

Zum 1.2.1995 nahm die Beklagte eine Tarifumstellung vor, über die sie ihre Kunden in einer Mittelung informierte. In dem beigefügten Preisblatt wurden die folgenden Tarife genannt:

   \"Allgemeine Tarife:      0 - 2428 kWh/Jahr\"
   \"Grundpreis:         2429 - 4965 kWh/Jahr\"
   \"Gewerbepreis:         4966 - 56275 kWh/Jahr\"
   \"Grundpreis 2 Gewerbe:   > 56275 kWh/Jahr\"
   
   \"Heizgas Sonderabkommen\"
   \"R1                  4966 - 12571 kWh/Jahr\"
   \"R2                  12572 - 77000 kWh/Jahr\"
   \"Lineare Komponente      > 77000 kWh/Jahr\"

In den beigefügten Bedingungen heisst es:
\"Bei der Abrechnung erfolgt die Einstufung automatisch nach Verbrauch und Verwendung des Gases. Wird das Gas überwiegend zu Heizzwecken verwendet und hat die ESWE einen Baukostenzuschuss gewährt, so bietet sie ihren Kunden eine Belieferung zu den Tarifen des Heizgas Sonderabkommens an.\"

Unter Ziffer 2 mit dem Titel \"Preisanpassungen\" wird ausgeführt:
\"Ändern sich die allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse, so werden die Preise erst nach öffentlicher Bekanntgabe in der örtlichen Presse wirksam. Die ESWE ist nicht zu Einzelmitteilungen an die Kunden verpflichtet.\"

Dem Kunden steht eine Kündigungsfrist von einem Monat zu.

Unter Ziffer 3 heisst es:
\"Ansonsten gelten die Bestimmungen der AVBGasV.\"

Im Jahr 2001 wurden die Tarife des Sonderabkommens durch die Tarife \"ESWE Comfort 1\" und \"ESWE Comfort 2\" abgelöst. In den beigefügten Bedingungen heisst es hierzu:

\"Preisänderungen werden erst nach öffentlicher öffentlicher Bekanntgabe in der örtlichen Presse wirksam. Die ESWE ist nicht zu Einzelmitteilungen an die Kunden verpflichtet\".

\"Es wird auf das Sonderkündigungsrecht gemäß §32 AVBGasV, Abs. 2 verwiesen\"
\"Soweit nichts anderes vereinbart ist, gelten die Bestimmungen der AVBGasV.\"

Die Beklagte rechnete seit 1995 in den Tarifen R1 bzw. R2 ab, danach in den Tarifen Comfort 1 bzw. Comfort 2.

Der Kläger erhob gegen die Preisänderungen und die Abrechnungen keinen Einwand.
Erst am 1.9.2004 machte er erstmals einen Einwand gegen die Gaspreiserhöhung zum 1.8.2004 geltend.

Er klagt auf Feststellung der Unbilligkeit und Unwirksamkeit der Abrechnungen und der geforderten Abschlagszahlungen für den Zeitraum vom 30.3.2003 bis 1.10.2007.

Das Landgericht hat dem nur im geringem Umfang für das Jahr 2007 stattgegeben.

Im Berufungsverfahren erweitert der Kläger seine Klage auf Feststellung, dass der Gaspreis insgesamt unwirksam sein soll (zitat) was immer das heissen soll (/zitat).

In diesem Verfahren gibt es zwei Aspekte hinsichtlich der Zulässigkeit der Revision zu klären:
1) Zur Zurückweisung hinsichtlich der Abschläge, Seite 19, Ziffer 4
   fehlt es an ausreichendem Angriff.
2) Zur Zurückweisung hinsichtlich der Preisänderungen in 2003 und 2004 im
   Berufungsurteil, S. 10, B.a.: Die Berufung tritt der Preissenkung im Juli 2004
   nicht mehr entgegen. Dazu fehlt es am Vorbringen in der Revision.
   
Soweit zulässig stellt sich die Frage, ob der Beklagten ein Preisänderungsrecht zustand. Das Berufungsgericht meinte, es handele sich zwar um einen Sondervertrag, ein Preisänderungsrecht werde aber durch §4 AVBGasV begründet.
Die Beklagte argumentiert, der Kläger sei immer noch Tarifkunde und ein Preisänderungsrecht nach §4 AVBGasV ergebe sich daher unmittelbar.

Nach Auffassung des Senats gemäß seiner Rechtsprechung vom 15.07.10 in 225/07 könnte der Kläger Sondervertragskunde sein. Es kommt damit darauf an, ob der Kunde aus seiner Sicht zu Allgemeinen Tarifen auf Grund der Versorgungspflicht des Versorgers beliefert wird oder zu Sondertarifen auf Grundlage der Vertragsfreiheit des Versorgers.

Der Senat tendiert derzeit dazu anzunehmen, dass im vorliegenden Verfahren letzterer Fall gegeben ist.

Die derzeitigen Vorüberlegungen des Senats gehen in die folgende Richtung:
§4 AVBGasV gilt nur dann unmittelbar, wenn der Kunde Tarifkunde ist und der Tarif ein Allgemeiner Tarif und kein Sondertarif aus Sicht des Kunden ist.

Als gesetzliches Preisänderungsrecht ergreift §4 AVBGasV einen Sondertarif auf keinen Fall.

Falls ein vertragliches Preisänderungsrecht besteht, dann stellt sich die Frage, ob es wirksam vereinbart woden ist.

Die Bedingungen zu den Tarifen ab 2001 sehen jedenfalls Preisänderungen vor. Ziffer 3 weist auf die AVBGasV hin. Zu untersuchen ist, ob dieser Hinweis eine unveränderte Übernahme der Verordnung auf den Sondervertrag ist oder ob Ziffer 2 ein originäres Preisänderungsrecht darstellt.

Falls letzteres zutrifft, dann ist zu klären, ob dabei nicht zum Nachteil des Kunden von §4 AVBGasV abgewichen worden ist. Zumindest die Kündigungsregelung weicht zum Nachteil des Kunden ab, weil sie je nach Datum der Bekanntgabe neuer Preise kürzer sein kann als laut §32 AVBGasV.

Die von der Beklagten verwendete Bezeichnung \"AVB\" ist zudem nicht eindeutig, denn es ist nicht erkennbar, ob damit die AVBGasV oder \"Allgemeine Vertragsbedingungen\" oder sonst etwas gemeint ist.

Sollte es an einem Preisänderungsrecht fehlen, dann ist zu fragen, wie hoch der Sockelpreis ist, der einer Billigkeitskontrolle entzogen ist. Laut Ansicht des Senats vom 14.07.10 kann die Sockelpreisrechtsprechung ein unwirksames Preisanpassungsrecht nicht ersetzen.

Zur Bestimmung der Höhe des Sockelpreises muss sich evtl. auch der Kläger auf §242 BGB verweisen lassen; insbesondere bei sehr lang andauernden Vertragsverhältnissen.

----- 10:25 ---------------------------------------------------------------------------
Wassermann

Er räumt Punkt 1) zur Zulässigkeit ein.
Zu Punkt 2) der Zulässigkeit: Gegenstand der Klage ist nicht nur die Preisänderung sondern auch der Preissockel.

Laut Ausführung des Senats soll der Kunde anfänglich unstreitig Tarifkunde gewesen sein. Dem ist nicht zu folgen.

Zu Vertragsbeginn gab es keine ausdrückliche Vereinbarung darüber, sondern nur eine Anmeldung des Klägers bei der Beklagten. Diese schickte dem Kläger eine Annahmeerklärung und nahm eine einseitige Tarifzuordnung vor.

Die Beklagte hat bestimmt, dass der Kläger Tarifkunde sein soll. Von Anfang an aber hat sie diese Einordnung nach Verbrauch (Bestabrechnung) einseitig vorgenommen. Auch die Einstufung in die Sondertarife R1 und R2 wurde nur nach Verbrauch vorgenommen. Daher ist der Kläger von Anfang an als Sondervertragskunde zu behandeln.

Hier geht es um den Zeitraum 2003 bis 2007: Der Tarif wurde auf \"Comfort 1\" umgestellt. Auch wurde dieser ausdrücklich als Sondertarif bezeichnet, abgegrenzt vom Allgemeinen Tarif \"Tarif SW Basis\", der sich hinsichtlich Preisen und Bestimmungen davon unterscheidet und für den die AVBGasV gilt. Der Kläger wurde nach davon abweichenden Bedingungen und Preisen beliefert, daher kann nicht die AVBGasV gelten, sondern es muss eine gesonderte Berechnung vereinbart worden sein.

Da die AVBGasV nicht unmittelbar galt, bedarf es dafür einer vertraglichen Grundlage.

Zur Wirksamen Einbeziehung der AVBGasV ist anzumerken, dass der Vortrag des Klägers, er habe die AVBGasV nicht erhalten, unberücksichtigt blieb.

Die Beklagte beruft sich darauf, die AVBGasV unverändert übernommen zu haben gemäß der Senatsrechtsprechung. Fraglich ist weiterhin, inwieweit diese Rechtsprechung mit den Transparenzanforderungen des BGB vereinbar ist.

Davon abgesehen ist entscheidend hier die Frage ob die Übernahme unverändert stattfand.

Ziffer 2 stellt eine eigenständige Klausel dar, die ein Preisanpassungsrecht aus Sicht des Kunden regeln soll und die sich nicht subsidiär gemäß Ziffer 3 aus der AVBGasV ergeben soll.

Dies ergibt sich auch bereits aus den Überschriften zu den Ziffern 2 und 3.

Wenn eine vertragliche Regelung zur Preisanpassung existiert, dann ist ein Rückgriff auf die AVBGasV nicht möglich.

Ziffer 2 stellt sich aus Sicht des Kunden als abschliessende Regelung zu Preisanpassungen dar. Sie ist nicht nur eine formale Vorausssetzung (Veröffentlichung) wie das Berufungsgericht meint.

Dies gesagt stellt sich die Frage nach der Inhaltskontrolle.

Die Klausel beschränkt sich nicht auf die unveränderte Übernahme. Der Hinweis auf die öffentliche Bekanntgabe selbst ist schon nicht in der AVBGasV enthalten.

Zur Höhe möglicher Preisanpassungen wird nichts bestimmt. Die Kündigungsfrist weicht ebenfalls zum Nachteil des Kunden ab, wie schon vom Senat ausgeführt.

Damit liegt keine unveränderte Übernahme der AVBGasV vor.

Der Versorger unterliegt aus Sicht des Kunden keinerlei Beschränkungen bei der Preisanpassung. Dies ist nicht hinreichend transparent.

Der Kläger hat auch den Preis insgesamt angegriffen, da auch ein eventueller Sockelpreis Bestandteile enthält, die durch rechtsgrundlose Preisanpassungen zustande gekommen sind.

Das Berufungsgericht meint, durch die widerspruchslose Hinnahme der Preise seien dies vereinbart worden. Dies ist nach der Rechtsprechung des Senats nicht hinnehmbar. Auch die Erwägungen des Senats zur konkludenten Preisneuvereinbarungen in Tarifkundenverhältnissen sind auf diesen Fall nicht übertragbar.

Im Ergebnis wurde bereits der Preissockel nicht wirksam gebildet. Damit hat sich das Berufungsgericht aber garnicht befasst, was ggf. durch eine Rückverweisung nachzuholen wäre. Der Senat muss über die Frage eines Rückgriffs auf §242 BGB nicht entscheiden.

----- 10:44 ---------------------------------------------------------------------------
Dr. Siegmann

Zur Zulässigkeit: Er weist den Einwand von Dr. Wassermann zurück.

Der Kläger ist Tarifkunde trotz Tarifänderungen, egal wie diese genannt werden.

Die Tarife werden ja nach Verbrauch zugeordnet. Dennoch waren dies die einzigen Tarife. Die Bestpreisabrechnung wurde doch nur zugunsten des Kunden eingeführt.

Wenn die Einstufung automatisch erfolgt und der Kunde somit keine Wahl über den Tarif hat, dann sind dies dennoch alle die einzigen Allgemeinen Tarife.

Daran hat sich auch durch die komplizierte Tarifumgestaltung nichts geändert.

Deshalb gilt das gesetzliche Preisanpassungsrecht.

Falls dem nicht zu folgen sein sollte - es sich also um einen Normsonderkunden handelt - dann gilt die gesetzliche Regelung nicht unmittelbar. Sie gilt aber mittelbar, wenn der Versorger die AVBGasV unverändert übernimmt, auch wenn diese den ansonsten strengen Transparenzanforderungen nicht entspricht.

Ist eine eigenständige Regelung zur Preisanpassung vorhanden?

Der Kern der neuen Regelung in Ziffer 2 ist keine Preisanpassung sondern die öffentliche Bekanntmachung. Diese stellt ein Entgegenkommen an die Kunden dar, weil diese sich nicht erst im Bundesanzeiger nach Preisänderungen erkundigen müssen. Der Satz über die nicht benötigten Einzelmitteilungen drückt nur noch mal dasselbe im anderen Wortlaut aus. Dies stellt also auch keine benachteiligende Abweichung von der AVBGasV dar.

Welcher Teil der AVBGasV muss eigentlich unverändert übernommen werden?
Gilt dies in jedem Fall auch für flankierende Bestimmungen wie dem Kündigungsrecht?

Die Senatsrechtsprechung ist meines Erachtens so zu verstehen, dass es einem Versorger möglich sein muss, auch in Sonderverträgen Preisänderungsbestimmungen zurücknehmen zu können. (Anm.: Vorausgegangen war ein längeres Lavieren mit \"Worthülsen\" in Bedingungen etc. Das konnte ich nicht ganz nachvollziehen).

Die Ungültigkeit einzelner Klauseln darf im Ergebnis doch nicht zur vollständigen Unwirksamkeit des Preisanpassungsrechts führen.

Andernfalls könnte man - abgesehen von der Regelverjährung - bis zum Anfang 1993 zurückgehen. Es ist zu begrüßen, dass der Senat hier ja mit dem Verweis auf §242 BGB helfen möchte.

Wenn man mit der Privilegierung zu streng ist, dann sind die wirtschaftlichen Folgen viel höher (80 Mio. Euro). Es erscheint problematisch, wenn die difizile Unterscheidung zwischen Tarif- und Sonderkunden zu derart gravierenden Folgen führen würde.

----- 11:00 ---------------------------------------------------------------------------
Wassermann

Ziffer 2 regelt nicht nur formale Voraussetzungen hinsichtlich der Veröffentlichung,  wie erwähnt sondern ist bei kundenfeindlichster Auslegung als einseitiges Preisanpassungsrecht anzunehmen.

Wenn die AVBGasV schon übernommen werden, dann auch vollständig. Andernfalls könnten Sondervertragskunden widerum schlechter gestellt werden als Tarifkunden.

(Anm.: Nun gab\'s ein Novum - andere Senatsmitglieder diskutierten mit Dr. Wassermann, welche Rechtsverhältnisse in der Revision festgestellt werden sollen. Die Frage, ab welchem Datum ein Sockelpreis festgestanden haben soll, sei wohl keines.)

----- 11:02 ---------------------------------------------------------------------------
Ball
Termin zur Verkündung: 9.02.2011, 10:00

Gruss,
ESG-Rebell.

 

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